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Mephisto findet kein Ende

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Drei Stunden „Mephisto“, trotz Grippewelle: Henning Hartmann (v.l.), Janko Kahle, oben Günther Harder, Sabine Waibel und Rainer Frank. - Foto: Karl-Bernd Karwasz
Drei Stunden „Mephisto“, trotz Grippewelle: Henning Hartmann (v.l.), Janko Kahle, oben Günther Harder, Sabine Waibel und Rainer Frank. © Karl-Bernd Karwasz

Hannover - Von Jörg Worat. Im Ensemble des hannoverschen Staatsschauspiels gibt es Herren, die sehr schön mehrstimmig „Der kleine grüne Kaktus“ singen können. Diese Erkenntnis war jetzt im Schauspielhaus zu erlangen – nur dürften die wenigsten Besucher beim Besuch der „Mephisto“-Premiere speziell darauf aus gewesen sein.

Es ist eben eine Menge los bei dieser Bühnenfassung von Klaus Manns Skandalroman, der den Aufstieg eines opportunistischen Schauspielers in der Nazizeit skizziert, den der Autor selbst ausdrücklich nicht als Schlüsselroman verstanden wissen wollte und in dessen fiktiver Hauptfigur Hendrik Höfgen trotzdem stets der reale Gustaf Gründgens gesehen wurde.

Regie in Hannover führt einmal mehr Milan Peschel, bestens bekannt als Darsteller in Film und TV („Tatort“, „Halt auf freier Strecke“). Er kommt vor der Premiere höchstselbst auf die Bühne und verkündet, dass mindestens das halbe Ensemble von einer Grippewelle erfasst worden sei und man daher bei etwaigen Stimmverlusten „gnädig“ sein solle: „Wären wir eine deutsche Behörde, würde das hier heute entfallen.“ Nun, die Aufführung findet statt, die Akteure halten sich wacker, und wenn der Abend letztlich trotzdem entgleist, hat das andere Gründe.

Die liegen weniger darin, dass eine klare Rollenzuweisung der Hauptfigur ausbleibt: Tatsächlich ist es sogar spannend und zumindest nicht unlogisch, wenn alle, einschließlich der Damen, irgendwann mal den schillernden Hendrik Höfgen geben. Man kann auch damit leben, dass alle möglichen Textbausteine auftauchen: Es gibt „Hamlet“ und Heiner Müllers „Hamletmaschine“, es gibt den „Faust“, und es gibt „Ich wollt, ich wär ein Huhn“.

Selbst der muntere Reigen der Spielformen zwischen Agitprop und bewusst überzogenem Melodram, den Peschel hier anzettelt, hat seine Reize. Wenn der Regisseur das alles in den Griff bekommen hätte, was leider nur bedingt der Fall ist – der rote Faden droht immer wieder zu entschwinden.

Und Slapstick-Szenen können zwar sehr amüsant sein, sollten sich aber doch in einen erkennbaren Gesamtzusammenhang einfügen: Es gibt eine Szene, in der Henning Hartmann minutenlang kein Wort sagt, stattdessen eine ganze Batterie von unterschiedlichen Lachern zwischen Prusten, Hauchen und Meckern produziert – es ist bekannt, dass Hartmann so etwas ganz hervorragend kann, sinnfällig wirkt es indes an dieser Stelle keineswegs.

Das drehbare Bühnenbild von Nicole Timm zeigt immer neue Szenerien, Live-Videos kommen zum Einsatz, und irgendwann ist man als Betrachter doch reichlich gesättigt. Mancher Moment wäre denn auch gut als Schlussbild geeignet, aber die Aufführung findet einfach kein Ende. Zu dräuender Musik reiht sich eine Szene zäh an die andere, als sei dem Produktionsteam der Begriff des Spannungsbogens komplett unbekannt, bis die Gesamtdauer die angekündigten drei Stunden beträchtlich übersteigt.

Vergessen sind zu diesem Zeitpunkt die schönen parodistischen Momente, wenn etwa Höfgen auf der Theaterprobe seine Truppe anschnauzt: „Das ist Wedekind, nicht Wittenbrink“, vergessen die vielen interessanten Andeutungen von Charakterzeichnung. Und vergessen auch die Anflüge von Selbstironie, wenn die Figuren auf der Bühne den Begriff des experimentellen Theaters reflektieren und zu dem Schluss kommen, dass Experimente um der Experimente willen zu vermeiden seien, was prompt mit ein paar höhnischen Lachern aus dem Publikum quittiert wird.

Vorschlag zur Güte also: Wir dampfen die Sache noch einmal kräftig ein und sehen, was bei kommenden Vorstellungen passiert. Grippewelle hin oder her.

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