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Unsinn von oben bis unten

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Szene aus „Die zehn Gebote“ am Theater Bremen (mit Betty Freudenberg): Nimmt die Bühnenkunst zu wenig Rücksicht auf die „Netzgesellschaft“?
Szene aus „Die zehn Gebote“ am Theater Bremen (mit Betty Freudenberg): Nimmt die Bühnenkunst zu wenig Rücksicht auf die „Netzgesellschaft“? © Landsberg

Bremen - Von Johannes Bruggaier. Wer ist Ulf Schmidt? Michael Börgerding, Intendant des Bremer Theaters, kennt ihn nicht. Auch Joachim Lux, Kollege vom Hamburger Thalia-Theater hat den Namen nie gehört – hält aber das, was von ihm ganz aktuell zu vernehmen ist, für „Unsinn von oben bis unten“. Na prima: Dieser „Unsinn“ hatte eigentlich die Verhandlungsmasse darstellen sollen bei der Podiumsdiskussion „Theater, Kunst, Gesellschaft“, zu der am Montagabend die Heinrich-Böll-Stiftung eingeladen hatte.

Neben den beiden Theaterchefs waren im Foyer des Bremer Theaters Franziska Werner, Leiterin der Berliner Sophiensäle, sowie Carsten Werner, Urgestein der freien Theaterszene in Bremen, zu Gast. Unter der Moderation des Kulturmanagers Ulrich Fuchs, auch er ein alter Bekannter in Bremen, sollte sich eine Diskussion um die gesellschaftliche Relevanz des Theaters entspinnen. So zumindest lautete der Plan.

Doch die Diskussionsgrundlage, eine Polemik des besagten Herrn Schmidt, erwies sich als allzu dürftig. Das Stadttheater, so lautete dessen steile These, werde es in zehn Jahren nicht mehr geben, weil im Zuge des digitalen Wandels mit dem Zeitungssterben auch das Sprachrohr des Theaters verschwinde und die Bühnen ohnehin nicht die drängenden Fragen der „Netzgesellschaft“ verstünden.

Im Internet lässt sich die Lektüre zu diesen Ausführungen vertiefen. Demnach liegt die Zukunft des Theaters weniger in guten Erzählungen und Bildern, als in „Tools“ wie „Kanban“ und „Scrum“, „To-Do-Karten“ und „Back-Logs“. Zu Herrn Schmidts Entschuldigung sei hier angeführt, dass er als „Digitalberater“ unterwegs ist (genauer gesagt als „Freelance Kreativkonzepter und Digitalstratege für Agenturen und Unternehmen“): Da gehört das Geklingel mit Plastikwörtern ebenso zum Handwerk wie die Selbstüberschätzung.

Dass Herr Schmidt seine Expertise demnächst dem Thalia-Theater andienen darf, ist allerdings unwahrscheinlich. Dessen Intendant Joachim Lux jedenfalls verwahrt sein Haus dagegen, irgendwelchen Nützlichkeitsanforderungen entsprechen zu sollen. Sinn und Zweck des Theaters sei allein die künstlerische Arbeit, da habe kein Politiker und kein Wirtschaftslobbyist hineinzureden. Die Nachtigall der Vereinnahmung durch Silicon-Valley-Apologeten hört Lux nicht nur trapsen, sondern geradezu trampeln: „Die Gefahr ist, dass wir instrumentalisiert werden. Leute wie diesen Schmidt halte ich für gefährlich!“

Dem mag Bremens Theaterchef Börgerding nur teilweise widersprechen. Man dürfe nicht verkennen, dass ein subventioniertes Haus über seinen künstlerischen Auftrag hinaus auch einer sozialen Aufgabe nachkommen müsse. Urmotiv des Spielens sei, sich etwas auf der Bühne zu vergegenwärtigen, was man abseits der Bühne nicht versteht. Ein Stadttheater müsse anstreben, möglichst vielen Menschen diese Erfahrung zu ermöglichen.

Als auch Franziska Werner zur Thesenvorlage lediglich einfällt, dass die Leute – digitaler Wandel hin oder her – trotzdem zu den Vorstellungen ihres Hauses kommen, entwickelt sich die Debatte zu einer Gegenüberstellung von Stadttheater und freier Szene. Bis Carsten Werner dämmert, dass dieser Diskurs irgendwann schon mal geführt worden ist: Richtig, in den Neunzigern war‘s und zwar bis zum Exzess.

In seiner Not greift Moderator Fuchs noch einmal in die Zitate-Kiste und zaubert einen gleichfalls kulturpessimistischen Artikel von Hans Ulrich Gumbrecht hervor. Der Literaturwissenschaflter und Professor für Komparatistik an der Stanford University spielt zwar in einer anderen Liga als der Internetjünger davor. Doch das Kind ist da schon in den Brunnen gefallen, die Lust zum Streit versiegt.

Irgendwann kommt Joachim Lux doch noch auf einen Aspekt des Schmidt-Papiers zu sprechen: Das mit den Zeitungen, da sei vielleicht mehr dran, als man denkt. Eine Zeitung nötige ihre Leser dazu, sich auch mal mit abseitigen Themen zu befassen. Im Internet dagegen werde alles Unliebsame gefiltert. Theater müsse dem entgegenwirken, der Gesellschaft eine generalistischere Weltwahrnehmung bieten. Was aber, wenn die Gesellschaft in Zeiten digital gefilterter Informationen von diesem Theater gar nichts mehr weiß? Darüber ließe sich herrlich streiten – statt über Wortgeklingel aus der IT-Branche.

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