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Wo gibt‘s denn so was?

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Aufstand gegen die Ruhebürger: Blick auf die Bremer Sielwallkreuzung bei „Das Viertel lebt!“.
Aufstand gegen die Ruhebürger: Blick auf die Bremer Sielwallkreuzung bei „Das Viertel lebt!“. © Faltermann

Bremen - Von Johannes Bruggaier. Nein, Herr Friedel hat sich bei uns immer noch nicht gemeldet. In unserer letzten Mail an ihn hatten wir davon geschrieben, dass er ja sicherlich mitbekommen habe, „wie sich unsere Geschichte um Ihr Gutachten entwickelt hat“. Davon wird man wohl ausgehen können am Ende eines Bremer Kulturjahres, dessen größter Aufreger zweifellos der Gutachterskandal um die Weserburg war.

Weserburg, so heißt das weit und breit bedeutendste Museum für aktuelle Kunst. Weil Bedeutung aber nicht immer vor Untergang schützt – das Römische Reich und die Titanic hat es ja auch irgendwann getroffen –, steht das Haus gleichwohl seit Jahren im Zentrum einer Debatte um finanzielle Kürzungen und bauliche Verkleinerungen.

Helmut Friedel ist ein angesehener Kunsthistoriker aus Süddeutschland mit Professorentitel und Leitungsposten am Frieder-Burda-Museum in Baden-Baden. In Bremen war er bislang nur mittelbar in Erscheinung getreten, für eine unabhängige Expertise in Sachen Weserburg also bestens geeignet. Dachte man.

Doch was dann als Gutachten durchging, war allenfalls ein besserer Schulaufsatz. „Besser“ jedenfalls, sofern der Lehrer nicht darauf achtet, ob der Sitznachbar womöglich ganz ähnliche Ergebnisse aufgeschrieben hat. Die Wahrheit ist: In Friedels Ausführungen deckten sich ganze Sätze mit Dokumenten aus der Bremer Kulturbehörde. Und so gab es für knapp zehntausend Euro Honorar statt der erhofften unabhängigen Expertise einen handfesten Gutachterskandal. Den aber hätte die Stadt Bremen auch geschenkt nicht brauchen können.

Vielleicht im Gegensatz zur Weserburg. Denn mit dem Desaster war in mancher Hinsicht ein Wendepunkt erreicht. Was bislang noch mit einigem guten Willen als besonders plastisches Beispiel für einen zähen Prozess der Entscheidungsfindung durchgehen konnte, erwies sich nun endgültig als politisches Schelmenstück. Wenn ein Museum erst saniert werden, dann im Westen der Stadt neu entstehen, anschließend im Osten mit einem anderen Museum verschmolzen und schließlich doch wieder an Ort und Stelle bleiben soll, dies aber wiederum nur nach einer Verkleinerung: Wer plant so was? Wenn sein Direktor erst einen neuen Vertrag bekommt, gleich darauf aber geschasst wird, woraufhin das Schiff für eineinhalb Jahre führerlos durch schwere See torkelt: Wo gibt’s so was? Wenn ein Behördenpapier als politische Hauptargumente gegen sein Konzept anführt, dass es dafür erstens an kooperationsbereiten Leihgebern mangele und zweitens die vielen kooperationsbereiten Leihgeber das Alleinstellungsmerkmal gefährden: Wer schreibt so was?

Noch während des laufenden Wahlkampfs übten sich manche politische Akteure im Zurückrudern. Dass die Weserburg an Ort und Stelle verbleibt, steht jetzt immerhin fest, und seit Ende Juni verfügt das Museum sogar auch wieder über einen Direktor.

Einen solchen gibt es seit nunmehr drei Jahren auch am Theater Bremen wieder. Dort heißt er zwar branchenbedingt „Generalintendant“, verfügt aber über eine ähnlich umfangreiche Entscheidungskompetenz. Michael Börgerding hat seine Sache so gut gemacht, dass seine Vertragsverlängerung nur als Glücksfall gelten konnte. Wie glücklich dieser Fall ist, beweisen die Zukunftspläne anderer Führungskräfte seines Hauses: Opernchef Benedikt von Peter wird selbst Intendant, Schauspielchef Benjamin von Blomberg hat sich bereits Richtung Münchner Kammerspiele verabschiedet, Dramaturgin Regula Schröter folgt von Peter nach Luzern. Sie hinterlassen ein Haus, das in kurzer Zeit ein ästhetisches Profil erlangte, wie man es zuvor allzu lange vermisst hatte. Zu erleben war das im vergangenen Jahr in einer wunderbar schrillen Inszenierung der Operette „Im Weißen Rössl“ oder auch in einer so schlichten wie verstörenden „Medea“: Just an dem Tag, als Terroralarm in Bremen herrschte, zeigte Regisseur Alexander Riemenschneider mit Euripides' Figur der rachsüchtigen Mutter den ganz alltäglichen Terror in unseren Köpfen. Kunst und Wirklichkeit haben an diesem Premierenabend einander wechselseitig erzählt, manchmal ist Theater nichts weniger als das Leben selbst.

Und dieses Leben kann ganz schön anstrengend sein. Weniger in jungen Jahren, wenn die Nächte nicht lang und laut genug sein können. Dafür aber später, wenn man allmählich begreift, warum die langweiligen Eltern früher immer gleich mit der Polizei drohten, wenn der Nachbar mal die Anlage zu laut aufgedreht hatte. So ähnlich scheint es auch einigen Bewohnern des Bremer Steintorviertels ergangen zu sein, denen im vergangenen Jahr auffiel, dass sie in einem Stadtteil wohnen, den man auch als kulturelles Zentrum, ja als Vergnügungsviertel bezeichnen könnte. Betreiber von Clubs und Musikkneipen sahen sich plötzlich mit Post von Anwälten und Behördenmitarbeitern konfrontiert. Konzerte mussten abgesagt werden, es folgten kleinliche Auseinandersetzungen um Minuten und Dezibel. Skurril: Eine Beschwerdeführerin soll dem Vernehmen nach selbst aus der Kulturszene kommen.

Musiker, Publikum und Clubbetreiber machten mobil. Ein „Kulturschutzgebiet“ wurde ausgerufen, wenn auch nicht ganz klar war, inwieweit dadurch allein Kultur geschützt werden sollte. Ob ein unter dem Schlachtruf „Das Viertel lebt!“ initiiertes Straßenfest mit Livebands und zehntausend Besuchern die Toleranz verstärkt oder im Gegenteil den Trotz vergrößert hat, ist ungewiss. Wer wie lange wie laut musizieren darf und in welchem Umfang für das Verhalten seines Publikums verantwortlich ist: Diese Frage hat bis heute noch niemand hinreichend beantwortet. Bei den Clubs jedenfalls macht sich unterdessen ein erhöhtes Problembewusstsein bemerkbar. Schilder ermahnen Besucher, beim Rauchen vor der Tür leise zu sein. Angedacht ist sogar ein „Nachtbürgermeister“, der grölende Ruhestörer gezielt anspricht. Die subkulturelle Szene ist offenbar kompromissbereit – dass das auch für die lärmempfindlichen Nachbarn gilt, bleibt zu hoffen. Vielleicht dient die ganze Geschichte wenigstens künftigen Interessenten an Immobilien im Bremer Viertel als Lehrstück. Merke: Wer es kalt mag, sollte die Sahara meiden, wer aber die Wärme schätzt den Nordpol. Und wer Ruhe und Erholung sucht, der sollte nicht ausgerechnet ins lauteste Quartier einer Großstadt ziehen.

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ARCHIV - raucht am 10.03.2010 in Lübeck seine Pfeife. Foto: Maurizio Gambarini/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
Schriftsteller Günter Grass © dpa

Günter Grass ist gestorben in diesem Jahr, ein großer Autor und unbequemer Bürger. Seine Biografie stand wie seine Literatur für die quälenden Selbstzweifel einer ganzen Nation, für ihr Ringen um eine souveräne Haltung zur eigenen Geschichte. In Bremen hatte man das schließlich auch erkannt, die Stadt gründete 2001 unter seinem Namen eine Stiftung und richtete ein Archiv ein, zu zahlreichen Anlässen begrüßte man den Literaturnobelpreisträger als Ehrengast. Das war nicht immer so gewesen. Als Grass 1960 den Bremer Literaturpreis erhalten sollte, hatte der Senat noch sein Veto eingelegt: „Die Blechtrommel“, jenes skandalös unzüchtige Romandebüt schien den feinen Hanseaten ihres Preises unwürdig.

So zeigt sich im Umgang mit Grass ein typisch bremisches Phänomen: Diese Stadt hat eine Begabung dafür, Künstler erst zu unterschätzen, um ihnen dann nach Jahrzehnten reumütig wieder den roten Teppich auszurollen. Das gilt für Günter Grass, das gilt für Kurt Hübner – gilt es auch für die Bremer Weserburg? Es sieht zurzeit danach aus, als kratze die Stadt hier gerade noch mal die Kurve. Doch wer ihre politischen Intrigen und Ränkespiele über Jahre hinweg beobachtet hat, der wird am Ende nur noch eines herbeisehnen: endlich mehr Konstanz.

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