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Natur trifft Kunst in der Form

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David Thorpe: Century Guild, 2009.
David Thorpe: Century Guild, 2009. © -

Von Rainer BeßlingHANNOVER (Eig. Ber.) · Zum Abschluss der Ausstellung betritt der Besucher ein Kabinett mit drei Collagen. Vor großflächigen Pflanzenmustern rahmen Holzpassepartouts organische Formen aus Naturmaterial.

Natur und Kunst treffen in David Thorpes jüngsten Arbeiten hart aufeinander. Im All-Over des wandfüllenden Musters ist das pflanzliche Relikt ins Zentrum gerückt und wird zugleich beinahe erdrückt. Erhaben und verloren wirkt die skelettierte Naturform zwischen den Raum greifenden Kunstformen. Führt über die Abstraktionsfülle ein Weg zurück zu den Ursprüngen? Klärt das Ornament den Blick auf die organischen Bauformen? Braucht es künstliche Zuspitzung, um das innere Wesen der natürlichen Erscheinung nicht nur zur Anschauung, sondern auch zum Verständnis zu bringen?

Der Kunstverein Hannover präsentiert in einer großen Einzelausstellung neben den Collagen raumfüllende Installationen, Skulpturen und Aquarelle des 1972 geborenen Thorpe. Die Präsentation nimmt in sinnlicher Überwältigung die Behauptungsansprüche zweier konkurrierender Wirklichkeiten auf.

Gebührt den Naturformen Herrschaft und prägender Einfluss auf die Kunst, wie der Zoologe Erich Haeckel um 1900 zeichnerisch mit der Monumentalisierung von Kleinstlebewesen zu untermauern versuchte? Oder lässt sich nicht vielmehr und erst mit der Entwicklung künstlicher und künstlerischer Formen eine wahrhaftige Annäherung an die Natur vollziehen?

Thorpe greift einen Faden auf, der von der Arabeske über das Ornament bis zur Ab straktion reicht. Implizit schließt er an die Debatte um die vermeintliche Polarität der Natur- und Kunstschönheit an, die das ästhetische Programm der Klassik bestimmte. Historisch näher knüpft er an Momente der Reformbewegung an, die zwischen der Suche nach natürlichem Balsam für Zivilisationsschäden auf der einen und einer Durchwirkung des Alltags mit dem Schönen, Wahren und Werten auf der anderen Seite pendelte.

So erinnern Thorpes hochartifizielle Kunst-Bau-Werke sowohl an Kristallisationen des Natürlichen unter dem Mikroskop wie auch an die utopischen Entwürfe der klassisch-modernen Architekturrevolution. Sie stehen futuristischen Visionen von Technik und Tempo ebenso nahe wie archaischen Kultobjekten.

In den hybriden Bildräumen des Briten sind Pflanze und Ornament, Natur und Architektur gleichermaßen Orte von Behausung und Zuflucht. Nicht mehr um die Anreicherung des Handwerks und der Kunst durch die Naturform geht es bei Thorpe, sondern um eine Kunst, die das Technisch-Handwerkliche der Übersetzung und damit Stilisierung von Natur als Aneignungsmodus der Welt betreibt.

Thorpe schafft seine Werke in teils altmeisterlicher Manier und vorindustrieller Haltung. Haltung meint das praktizierte Verhältnis des Künstlers zu seinem Werk, das bestimmt ist von Verantwortung, Zuneigung und einem eigenen Maß. Reklamierten Kant und Schiller Begriffe wie Zweckfreiheit und Spiel für die Wesensbestimmung der Kunst, stellt der Soziologe Richard Sennett dem für die Schwesterdisziplin Handwerk eine individuelle Produktionsethik zur Seite: Im Handwerk drücke sich „das fundamentale menschliche Streben aus, eine Tätigkeit um ihrer selbst willen gut zu machen.“

Damit verbinde sich, so Hannovers Kunstverein-Kuratorin Ute Stuffer, ein eigenes Verhältnis des Künstlers zur Zeit, das Streben nach einem eigenen Rhythmus. So sind Thorpes Muster als getaktete Flächen auch eine Reflexion über verschiedene Zeiten: „...die apokalyptische Zeit religiöser Erweckungsbewegungen, die Zeit vergangenen Utopien, die Zeit des Wachstums mit seinen Kontinuitäten und Unterbrechungen, die rhythmische Zeit des Ornaments, die Zeit geduldiger Dauer der handwerklichen Arbeit.“

(Kunstverein Hannover, bis 8. November, Katalog)

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