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Schelmin gesucht

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Unverschämt: Margaret Harrisos „If these Lips Could Only Speak“ (1971)
Unverschämt: Margaret Harrisos „If these Lips Could Only Speak“ (1971) © Künstlerhaus

Bremen - Von Rolf Stein. Spätestens zu Heinz Erhardts Zeiten war der Schelm domestiziert. Als sich der Begriff aus dem Althochdeutschen „scelmo“ herausbildete, war er eher mit so unangenehmen Dingen wie Aas oder Seuche konnotiert, auch die Bedeutung eines Betrügers steckte früher darin.

Der Schelmenroman erhob den Betrüger zu einem Anti-Helden, der, wenn auch nicht immer mit Absicht, der Welt einen Spiegel vorhielt. Jakob Christoffel von Grimmelshausens Simplicissimus war so einer, der brave Soldat Schwejk, in gewisser Weise auch Oskar Matzerath aus der „Blechtrommel“. Sie und andere sind Freaks, die die Selbstverständlichkeiten einer Mehrheitsgesellschaft (und ihrer Leitkultur) vor allem praktisch infrage stellen.

Schelminnen muss man derweil eher mit der Lupe suchen. Stephanie Seidel und Fanny Gonella wollten wissen, warum das so ist und was eine Schelmin heute ausmachen müsste. In der Ausstellung „Ein Schelm, wer Böses dabei denkt“, die gestern im Künstlerhaus Bremen eröffnet wurde, zeigen sie elf Positionen, in denen Künstlerinnen Rollenzuschreibungen untersuchen, die sich bekanntlich besonders gut an den Abweichungen von selbigen kenntlich machen lassen. Zeitlich setzt die Schau in den späten Sechzigerjahren an: Alexis Hunter, Jahrgang 1948, und Margaret Harrison, Jahrgang 1940, begegneten sich in den Siebzigern in feministischen Kreisen in London, wobei die Kampflinien sich seither etwas verschoben haben dürften.

„Wenn diese Lippen nur sprechen könnten“, sagt eine bezahnte Vagina bei Harrison. Und äußert damit das Unschickliche, das den Schelmenbegriff über die Jahrhunderte durchzieht, höchst explizit.

Neuere Positionen entfalten die schließlich immer auch ausgrenzenden Definitionen gesellschaftlicher Rollen oft weniger drastisch, wie die comichafte Bildgeschichte von Amelie von Wulffen: Hier begegnen wir in vermutlich nur scheinbar nachlässigen Bleistiftzeichnungen nicht nur einer Künstlerinnenfigur, die ungeniert Scheitern oder ganz ungehörige Fan-tasien zu Protokoll gibt. Sondern auch anderen Stereotypen: dem Mann, aber auch der Ehefrau an sich. Zugleich nimmt von Wulffen damit auch die Selbstinszenierung des Künstler-Genies in den Blick, der sie sich zugleich verweigert.

Buchstäblich hintersinnig das „medizinische Kleid“ von Shana Moulton: Von vorn schick und körperbetont, ist hinten ein Hämorrhoiden-Kissen eingenäht. Damit nicht genug: Hinein wird die Video-Arbeit „MindPlace ThoughtStream“ projiziert, die einen Werbefilm für Joghurt parodiert. In dem die Pop-Sängerin Rihanna einer Frau zur dringend benötigten Erleichterung verhilft. Was auch daran erinnert, erklärt Fanny Gonella, dass die Werbung zum Thema uns ausschließlich Frauen vorführt. Als litten Männer nicht an Verstopfung.

Ein weibliches Hinterteil steht bei einer weiteren Arbeit im Fokus: Michele Di Menna hat die entsprechende Partie ihres Körpers per vierfachem Abguss zur Begutachtung freigegeben – errötend, sozusagen. Dieser Konventionsbruch verweist derweil auch noch auf etwas anderes: Am 20. März zum Sonnuntergang wird die kanadische Künstlerin die Abgüsse einem archaischen Test unterziehen, der sich aus ihrer Auseinandersetzung mit Hexen speist, die vielleicht so etwas wie der böse Zwilling des Schelms sind: Zwar setzten auch sie den durchgesetzten Konventionen ein alternatives Modell entgegen. Allerdings wurden sie dafür nicht als Aufklärerinnen gefeiert – sondern hingerichtet. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

„Ein Schelm, wer Böses dabei denkt“, Künstlerhaus Bremen, bis zum 17. April.

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