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Herbert Grönemeyer ruft in der ÖVB-Arena zum Widerstand auf

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Herbert Grönemeyer legt den Finger in die Wunde. Foto: Guido Menker
Herbert Grönemeyer legt den Finger in die Wunde. © Guido Menker

Bremen - Von Mareike Bannasch. „Kein Millimeter nach rechts“: Das klingt nach Antifa, nach Wasserwerfern, nach zivilem Ungehorsam. Es sind aber keine Demonstranten, die den Satz skandieren, sondern Herbert Grönemeyer, der mit diesen Worten seinen Song „Fall der Fälle“ ankündigt, ein Stück von seinem aktuellen Album „Tumult“, auf dem der moralische Kompass der Nation einmal mehr den Finger in die Wunde legt. Auf dass sich endlich etwas ändern möge.

„Fall der Fälle“ ist nicht der einzige politische Fingerzeig am Freitag in der ausverkauften Bremer ÖVB-Arena. Grönemeyer macht sich Sorgen um sein Land und hat keine Probleme damit, seinen Status als öffentliches Gewissen dazu zu nutzen, den Massen seine Botschaft einzubläuen. Immer wieder. Kurze Ansprachen sind es, in denen er ein ums andere Mal an unser Gewissen appelliert, gegen Fremdenhass und Ausgrenzung wettert und mahnend mit dem Zeigefinger wedelt.

Das klingt pedantisch, ja vielleicht sogar oberlehrerhaft. Ist es aber nicht. Denn der Sänger schafft es immer wieder, seinen Kampf wortgewaltig zu dem seiner Fans zu machen. So spannt er den Bogen zu sich selbst, spricht davon, wie auch er immer wieder seine Sprache überprüfe, ja, überprüfen müsse. Damit sich die Verrohung im öffentlichen Ton nicht auch bei ihm breitmachen kann. Vor der schleichenden Gehirnwäsche der Populisten ist schließlich niemand gefeit. Da lohnt es, wachsam zu sein.

Allerdings nicht um jeden Preis: Der Weg des Widerstands ist bei Grönemeyer mit Spaß gepflastert. Und den haben sowohl die Massen vor der Bühne als auch der Sänger selbst. Immer wieder gluckst er beseelt, stammelt leise: „Es ist so schön“, und schaut sich staunend im großen Rund um – scheint überwältigt von der massenhaften und auch bei neueren Liedern textsicheren Liebe, die ihm entgegenschlägt. Sicher, er ist Profi, steht seit Jahrzehnten auf den Bühnen der Republik (sein erstes Bremer Konzert gab er fast auf den Tag genau vor 30 Jahren) und kann vermutlich jedem genau das vormachen, was er oder sie sehen möchte. Und doch, man nimmt es ihm ab, dass die Begeisterung des Publikums nicht selbstverständlich ist, dass er Bock hat aufs Tourneeleben, darauf, zweieinhalb Stunden auf der Bühne zu stehen – auch mit 62 Jahren.

Vor großen LED-Leinwänden gibt es an diesem Abend in einer sehr gut überlegten Abfolge alte und neue Hits zu hören. Musikalisch haben er und seine kongeniale Band viel dabei: harte Gitarrenriffs, Saxofon-Soli und eine wunderbar jazzige Version von „Flugzeuge im Bauch“. Nicht zu vergessen die gewohnte Grönemeyer-Mischung aus Synthie- und Pianopop. Er muss sich nicht neu erfinden, kann sich mit feiner Selbstironie über seinen, nun ja, eigenwilligen Tanzstil und die legendäre Knödelstimme lustig machen. Das ist bodenständig, und die Fans feiern ihn dafür. Laut und ausgiebig.

Doch nicht nur musikalisch ist ein Schema bei alten und neuen Songs zu erkennen, auch thematisch hat sich in all den Jahren nicht wirklich viel geändert. Damals wie heute gab es gesellschaftliche Schieflagen, gegen die er Stellung bezog, gepaart mit Dramen und großen Lieben: der Stoff für großartige Balladen. Wie „Der Weg“, jenes Lied, das er nach dem Tod seiner ersten Frau schrieb und das in Bremen im ersten von drei Zugaben-Blöcken zu hören ist. Ein Song, der von tiefer Trauer geprägt ist, von Ohnmacht, Liebe und Stolz. Stolz auf die Zeit miteinander und den gemeinsamen Kampf, auch wenn er verloren ging. In diesen Momenten wird einmal mehr klar, worin sich Grönemeyers Ruhm begründet und warum er bis heute anhält. Es ist seine Fähigkeit, Unfassbares in Worte zu kleiden, Trost und Mut zu spenden. Mut, weiter zu machen, durchzuhalten, zu kämpfen. Egal, ob im Privaten oder Politischen. Denn es lohnt sich: in beiden Fällen.

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