1. Startseite
  2. Kultur

Ein Platz an der Sonne

KommentareDrucken

Die Tatanua-Maske eines unbekannten Künstlers aus Neuirland ist ebenfalls in der Sonderausstellung „Der blinde Fleck. Bremen und die Kunst in der Kolonialzeit“ in der Kunsthalle zu sehen. - Foto: dpa
Die Tatanua-Maske eines unbekannten Künstlers aus Neuirland ist ebenfalls in der Sonderausstellung „Der blinde Fleck. Bremen und die Kunst in der Kolonialzeit“ in der Kunsthalle zu sehen. © dpa

Bremen - Von Rolf Stein. Können Sie zum Beispiel die deutschen Kolonien aus dem Kopf aufzählen? Oder ungefähr sagen, seit wann es in Bremen Bananen gibt? Klar, das könnten Sie natürlich mehr oder weniger bequem in der Wikipedia nachschlagen.

Auch das Lüderitz-Haus findet man dort ohne Weiteres, wenn schon nicht mehr im Bremer Stadtbild, wo immerhin noch eine Straße an den Pionier der deutschen Kolonialzeit erinnert. Dass er im Volksmund auch „Lügenfritz“ genannt wurde, weil er die Herero im heutigen Namibia nach Strich und Faden übers Ohr gehauen hatte, ist auch nicht unbedingt geheimes Wissen, auch wenn es kein Bestandteil des Gemeinwissens ist.

Dass die deutsche Kolonialzeit alles andere als eine gemütliche Episode war, ist ebenfalls kein Geheimnis. Vor einem Jahr erkannte Deutschland ganz offiziell an, dass es vor mehr als einem Jahrhundert einen Völkermord an Nama und Herero gegeben habe. Lange her? Nun ja. Dass der kürzlich verstorbene Helmut Kohl im Jahr 1995 als erster deutscher Kanzler seit 1904 Namibia besuchte und dabei ein Zusammentreffen mit Herero-Abgesandten vermied, wird nicht daran gelegen haben, dass die Zeit alle Wunden geheilt hat. Dass die Auswirkungen der Kolonialgeschichte natürlich nicht in Deutschland, aber eben auch dort – und in den ehemaligen Kolonien – tiefe Spuren hinterließen, macht die Ausstellung „Der blinde Fleck“, die von heute an in der Bremer Kunsthalle zu sehen ist, erfreulich differenziert deutlich.

Wenn da eine Figur des Bildhauers Herbert Kubica (1906 bis 1972) zu sehen ist, deren Titel mit „Hockende N******“ angegeben ist, erzählt das unter anderem zweierlei: Kubica verwendet für seinen Titel ein Wort, das in der Ausstellung wie im ihr zugehörigen und übrigens unbedingt empfohlenen Katalog nicht ausgeschrieben wird. Der dem Begriff eingeschriebene Rassismus ist evident. 

Ein Sprechverbot? Unter anderem in den Diskussionen über die Umschreibung von Kinderbüchern wurde dieser Vorwurf erhoben. Und man mag einwenden, dass es doch vielmehr um die tatsächliche Lage von Marginalisierten geht als um deren sprachliche Behandlung. Dass sich Erstere allerdings in zweiterer spiegelt, untermauert „Der blinde Fleck“ unter anderem in der Arbeit von Ngozi Schommers mit dem Titel „(Un)framed Narratives“. Die gebürtige Nigerianerin, die in Bremen und Ghana lebt und arbeitet, hat hier Kolonialwarenverpackungen aus der Sammlung des Übersee-Museums versammelt, auf denen Repräsentanten der kolonialen Gesellschaften dargestellt sind.

Auf Paletten arrangiert und von der Decke hängend müssen wir an ihnen vorbeischauen, um die Porträtzeichnungen zu sehen, auf denen Schommers Frauen von heute zeigt, aus Deutschland, der Schweiz, Ghana und Nigeria; „Eine Allianz starker und selbstbewusster Frauen“, sagt die Künstlerin. Frauen, die „aus dem Schatten der kolonialen Verpackung hervortreten“.

Dass stereotype Darstellungen von beispielsweise Afrikanern kein Relikt der Kolonialzeit sind, weisen unter anderem Plakate des Norddeutschen Lloyd nach, der noch in den 70er-Jahren mit romantisierenden Menschenbildern für seine Kreuzfahrten warb. Und dass die Künste, auch und gerade die klassische Moderne, nicht frei von rassistischen Urteilen waren, lässt sich in der Kunsthalle derzeit ebenfalls nachvollziehen, wobei ein Zitat des Malers Emil Noldes die Produktionsbedingungen von in jeder Hinsicht malerischen Überseeidyllen prägnant illustriert: Nicht nur Pinsel und Palette mussten da dabei sein. „Ich zeichnete ihn und malte. Zur Rechten neben mir lag der gespannte Revolver und hinter mir stand, den Rücken deckend, meine Frau mit dem ihrigen, ebenfalls entsichert. Es hat vielleicht niemals ein Maler unter solcher Spannung gearbeitet.“

„Der blinde Fleck“, bis 19. November, Kunsthalle Bremen.

Auch interessant

Kommentare