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Resultate einer Nacht

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Sie ist nicht gewillt, immer nur einzustecken: Katharina Blum (Caroline Junghanns) setzt sich zunehmend gegen die Hetze der Boulevardpresse zur Wehr. Fotos: Katrin Ribbe
Sie ist nicht gewillt, immer nur einzustecken: Katharina Blum (Caroline Junghanns) setzt sich zunehmend gegen die Hetze der Boulevardpresse zur Wehr. Fotos: Katrin Ribbe © -

Hannover - Von Jörg Worat. Ein seltsamer Theaterabend – zugleich spannend und nervig, berührend und distanziert, hochaktuell und verstaubt. Was ja immerhin eines bedeutet: Langweilig war die Premiere von „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ im Schauspielhaus Hannover nicht.

Mit Stefan Pucher, mehrfach zum renommierten Berliner Theatertreffen eingeladen und 2005 zum „Regisseur des Jahres“ gewählt, hat sich ein Star der Szene die 1974 erschienene Erzählung von Heinrich Böll vorgenommen. Typisch für ihn ist das Interesse an Populärkultur und die Einbindung von Videos; beides findet sich auch hier und wirkt, soviel vorweg, nicht nur wie eine Masche.

Zur Geschichte, die den Untertitel „Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann“ trägt: Die junge Katharina Blum hat sich mit großem Fleiß ein einigermaßen sorgenfreies Leben erarbeitet. Nach einer Party verbringt sie eine Nacht mit einer Zufallsbekanntschaft. Als sich herausstellt, dass es sich dabei um einen gesuchten Straftäter handelt, gerät Blum ins Fadenkreuz der Behörden und der Boulevardpresse, die aus der völlig unpolitischen Frau eine Art Terroristenbraut macht. Zunehmend in die Enge getrieben, erschießt sie schließlich den Reporter, der die Hexenjagd angezettelt hat.

Mit dieser Szene beginnt und endet der mit rund anderthalb Stunden sehr kompakte Abend. Da der Text mit seinen Vernehmungsprotokollen nur bedingt theatral ist, ergeben die in vielen Inszenierungen eher beliebig eingesetzten Live-Videos durchaus Sinn, vor allem, um festzuhalten, was all die Unterstellungen mit der Titelfigur machen: Immer wieder ist das Gesicht von Caroline Junghanns in Großaufnahme zu sehen, und in diesem Gesicht arbeitet es. Denn Katharina Blum ist keineswegs gewillt, immer nur einzustecken: Wenn der Frau Fragen im gegebenen Zusammenhang sinnfrei erscheinen, verweigert sie die Antwort, und größten Wert legt sie auf sprachliche Genauigkeit – nein, gewisse Männer sind ihr gegenüber nicht „zärtlich“ geworden, sondern „zudringlich“.

Auch Nebenfiguren, die in den Strudel der Ereignisse hineingezogen werden, erscheinen als Live-Projektion und machen dadurch sowohl Befindlichkeiten als auch Beziehungen klar, wenn etwa Mathias Max Herrmann als sympathischer, wenngleich etwas weicheieriger Beschützertyp und Wolf List als Möchtegern-Macho in wechselnden Größenverhältnisse umeinander herumtigern.

Wirkliche Verfremdungen gibt es eher beiläufig: In manchen Szenen tragen die Figuren Scheichsgewänder, Anspielung auf Ölkrise einer- und Karneval andererseits, während Junghanns schon mal Hildegard Knefs „Die Welt ging unter am Zürichsee“ anstimmt, was seltsamerweise atmosphärisch durchaus passt.

Was weniger passt, sind die vielen Beschimpfungen à la „Kommunistenschwein“, weil sie schlichtweg aus der Zeit gefallen zu sein scheinen, wie überhaupt arg viel 70er-Jahre-Flair durch die Inszenierung geistert. Und wenn sich der Sensationsreporter, der seine Zitatfälschungen perfide als „Artikulationshilfen“ bezeichnet, gegen Ende in einen geifernden Irren verwandelt, ist das so dick aufgetragen, dass die nach wie vor gewichtige Frage, wie gefakt welche News denn nun tatsächlich sind, darunter zu ersticken droht.

Gleichwohl mächtiger Schlussapplaus. Und draußen kontroverse Diskussionen unter den Besuchern – das ist erst einmal kein schlechtes Zeichen.

Sehen

Heute,13. und 28. März sowie am 5., 9., 15. und 25. April, jeweils um 19.30 Uhr, Schauspielhaus Hannover. Karten gibt es im Internet unter staatstheater-hannover.de

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