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Romantik mit Borstentier

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Organistin Iveta Apkalna
Organistin Iveta Apkalna © -

Von Boris HellmersBREMEN (Eig. Ber.) · Es gibt solche Konzertprogramme und solche. Solche, deren Hauptwerk der Komponist als „großes Tier mit Borsten“ bezeichnete und es am liebsten sowieso verbrannt hätte, können interessant sein – oder eben gerade nicht.

Dass Mendelssohns Reformationssinfonie nicht seine stärkste ist, ist unumstritten. Dass sie nach einem ausgesprochen schwachen Programm völlig ungewollt in die Rolle des musikalischen Höhepunkts gedrängt wurde, machte das jüngste Konzert der Bremer Philharmoniker nicht besser.

An diesem Abend war alles seltsam, sieht man von der Interpretenliste ab: Der musikalische Emphatiker Christopher Hogwood führte den Stab, Solistin war die lettische Organistin Iveta Apkalna, in Bremen und weltweit bestens beleumundet. Doch schon die Stückliste machte stutzig. Vor Mendelssohn Fünfter standen Carl Maria von Webers „Jubelouvertüre“, Rheinbergers zweites Orgelkonzert und ein Orgel-Solo-Mendelssohn. Programme in einem stilistisch einheitlichen Guss sind ja eine schöne Sache – sich in der Fläche aber ausschließlich an hochromantischer Tonkunst desselben biedermeierlichen Stils zu bedienen, ist beinahe fahrlässig.

Die Webersche „Jubelouvertüre“, im Programmheft als eine „der feinsten Musiken“ Webers angepriesen, erwies sich als netter Aperitif, mit viel Tamtam und der geradlinigen Ästhetik der Zeit, doch auch als ein Stück, das man bald wieder vergessen hatte. Die Philharmoniker begannen in ausgesprochen schräger Laune. Seltsam übersteuert, fast hysterisch gingen sie die Ouvertüre an, in den Bläsern hörbar einsatzgestört und insgesamt ohne Balance. Als die „Jubelouvertüre“ mit dem instrumental herausgeschrieenen „God save the Queen“ endete, hatten die Musiker ihr Gleichgewicht nur mit Mühe erlangt.

Josef Rheinbergers g-Moll-Orgelkonzert konnte, was die Spielkultur anbelangt, wieder einiges herausreißen. Der Rollentausch, vom konzertierenden Solo-Orchester zum Begleitensemble für die riesige Glocke-Orgel, tat den Philharmonikern offenbar gut. Mit Wucht schlugen sie die Pfähle des Unisono-Anfangs ein, bevor sich die Orgel dann majestätisch ins Spiel bringen konnte – jedenfalls theoretisch. Praktisch musste man schon sehr genau hinhören, wenn man das romantische Instrument überhaupt wahrnehmen wollte.

In den Solopassagen ließ Iveta Apkalna die Arabesken ranken, die Akkorde fallen, vor allem im Mittensatz die Lyrik sprießen: Die Leichtigkeit, mit der die Lettin die Königin der Instrumente bedient, ist Legende und bringt auch Imponier-Konzerten wie dem bombastischen Zweiten von Rheinberger unerwartete Charme-Perspektiven. Doch sobald das Orchester dazu kam, ging die Orgel hoffnungslos unter. Erstens, weil Rheinberger dick orchestrierte, was für Kirchengebäude geschickt sein mag, im Konzertsaal aber mehr als problematisch ist. Zweitens ist die Sauer-Orgel gar nicht komplett spielbereit – nur zwei der vier Werke sind restauriert. Damit fehlen tonale Substanz und Klangkronen bei einem Werk, das ohne dieses Material nicht überleben kann. So funktionierten zwar alle Einzelkomponenten wunderbar: Orchester, Organistin, ein spürbar wissender und wollender Hogwood am Pult. Doch in der Summe blieb die Sache blutarm und enttäuschend.

Mit Mendelssohns D-Dur-Thema mit Variationen für Orgel allein leitete Iveta Apkalna den zweiten Teil ein: sakrale Säuselmusik ohne Anfang, Mitte und Ende, die auch die Virtuosin nicht zum Leben erwecken konnte, zumal sie virtuos hier gar nicht gefordert war.

Und dann der Mendelssohn, das ungeliebte „Borstentier“ des Komponisten. Die „Reformationssinfonie“ konnte nicht auffangen, was nun schon an Defiziten aufgelaufen war. Mendelssohns musikalisch auf die Spitze getriebene Protestanten-Strenge, diese Ansammlung von Liturgik und Hymnologie, die sicherlich nicht ohne Wirkung ist, sich aber das ganze Werk hindurch an selbstredenden Floskeln entlanghangelt – aus diesem Material lässt sich manches machen, aber nicht das, was an dieser Stelle gepasst hätte. Hogwood dirigierte die Sinfonie mit einem folgsamen Orchester vorbildhaft durch, schuf Transparenz und Eleganz, ließ es an den wesentlichen Stellen ordentlich krachen und überraschte mit einem von ihm rekonstruierten vierten Satz. Doch der immer gleiche Dialekt der Romantik hatte sich für diesen Abend schon ermüdet. Das Murmeltier grüßte schon wieder, und auch das finale Triumphgejubel über Luthers „Ein feste Burg ist unser Gott“ nahm das Publikum nur noch zur Kenntnis. Es gibt eben solche und solche Konzertprogramme. Dieses war ein solches.

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