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Schleichende Übergänge

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Syke - Von Rainer BeßlingDie Wellen eines abgenutzten Teppichs verwandeln den tristen Zimmerboden in eine verlassene Steppenlandschaft. Ein vertrockneter Rosenstrauß auf einer verschmutzten Rosentapete erzählt von einstiger überbordender Dekorationslust.

Der Fotograf Laurenz Berges liest in leeren Wohnungen, verlassenen Häusern und verwilderten Gärten Spuren vergangenen Lebens auf. Die Impressionen sind still, fokussieren nur wenige, eher beiläufige Motive und nehmen sich in blasser Farbigkeit zurück. Dennoch treffen sie das Auge des Betrachters mit eindringlicher Kraft.

Ein von Spinnweben überzogenes Radiogerät wächst mit dem Fenstersims zu einem Monument des Verschwindens zusammen. Ein mit Blättern und Wasser gefüllter Grill steht schon lange ungenutzt an einer tristen Hausfront. Von einer Klingel ist nur noch das verrottete Gehäuse übrig geblieben.

Der aus Cloppenburg stammende, in Düsseldorf lebende Meisterschüler Bernd Bechers widmet sich seit den 90er Jahren verlassenen Orten und verfallenden Gebäuden. Nach der Wende fotografierte er leerstehende Kasernen. Menschenleere Dörfer im einstigen deutschen Braunkohltagebau nahm er in einer weiteren Serie auf.

Das im Verschwinden Begriffene hält Berges knapp und pointiert in einem dokumentarischen, dennoch vom persönlichen Blick geprägten Stil fest. Dabei lädt er die Bilder eines schleichenden Übergangs mit leiser Melancholie auf. Die Situationen sind gesehen, die Fotografien präzise komponiert. Licht und Ausschnitt verbinden das vermeintlich Nebensächliche zu bühnenhaften Arrangements und Stillleben. Behutsamkeit und Langsamkeit der fotografischen Inszenierung prägen das Tempo der Wahrnehmung.

Ein neuer Fotoband mit dem Titel „Frühauf Danach“ versammelt über 40 Arbeiten aus den Jahren 2005 bis 2011. Viele entstanden im deutschen Nordwesten, eine Feldforschung, der Berges in einer Mischung aus Vertrautheit und neuem Blick kontinuierlich nachgeht. Im Gegensatz zu früheren Publikationen gibt es keine thematische oder topographische Klammer. Jede Fotografie steht für sich, dennoch sind die Werke durch vielfältige motivische und formale Bezüge mitein ander verknüpft.

Treppen erinnern an ehemalige Behaustheit und machen ebenso den Schwellenzustand der Gebäude sinnfällig. Zwei Stufen enden vor einer geschlossenen Wand und dokumentieren die Veränderung und Endlichkeit in der häuslichen Einrichtung. Risse im Putz über einem abgegriffenen Lichtschalter zeigen grafisch Parallelen zum nackten Geäst eines Baumes.

Häufig treten Fenster auf, Sinnbild für den Austausch zwischen innen und außen, Zivilisation und Natur, zugleich Sehnsuchtsmotiv und Verweis auf das Format des künstlerischen Blicks. Bei Berges ist das Fenster mal zugewuchert von Geäst, mal hell überstrahlter magischer Fluchtpunkt, mal kompositorisches Raster. In dem Foto „Am Markt II“, Covermotiv, macht Licht Vorhangfalten plastisch. Beschriebene Blätter auf dem Fensterbrett rücken erzählerische Momente ins Bild. Form und Inhalt spielen sich in Berges‘ Fotografien auf meisterhafte Weise zu. Solche Arbeiten belegen die langjährige Beschäftigung des Künstlers mit der Frage „wie wenig ,Information‘ eine Fotografie haben kann, bevor sie in die von mir nicht angestrebte Abstraktion abrutscht, wie reduziert das Bild sein darf und trotzdem noch etwas erzählt.“

Nicht zuletzt aus dieser ästhetischen Strategie resultiert das Gleichgewicht von Vergangenem und Präsenz, von individueller Momentaufnahme und Allgemeingültigkeit, das Berges Fotokunst auszeichnet.

Laurenz Berges: Frühauf Danach. Mit einem Text von Thomas Weski. 116 S., 43 Farbtafeln. München, Schirmer/Mosel Verlag, 2011. 49,80 Euro

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