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Janneke de Vries: „Schließung ein Akt der Solidarität“

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Vielleicht geht es ja bald mit Distanz: Ein Blick in die Ausstellung „So wie wir sind 2.0“. Foto: Weserburg
Vielleicht geht es ja bald mit Distanz: Ein Blick in die Ausstellung „So wie wir sind 2.0“. © Weserburg

Bremen - Mitte März verkündeten vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie die Bremer Museen ihre Schließung – wie viele andere Einrichtungen des öffentlichen Lebens. Seit Kurzem wird über Lockerungen der Maßnahmen nachgedacht, Teile des Einzelhandels wie Buchhandlungen dürfen wieder öffnen, Museen dagegen nicht. Janneke de Vries, Direktorin der Weserburg, hat per E-Mail unsere Fragen beantwortet:

Wo sehen Sie die Kulturszene in Bremen nach einem Monat Lockdown?

Als momentan nicht im Fokus, aber weiter vital. Aber die freie Szene, die vielen Selbstständigen oder diejenigen, die auf einen „Brotjob“ neben dem künstlerischen Schaffen angewiesen sind, trifft die aktuelle Situation immens hart, oft existenziell.

Janneke de Vries
Janneke de Vries © -

Den Ausstellungshäusern, die einen institutionellen Zuschuss bekommen, geht es da deutlich besser. Wir haben zwar Verluste, etwa durch den Wegfall von Eintrittsgeldern und Museumsshopeinnahmen. Und höhere Kosten, weil wir digitale Angebote entwickeln, die bei den meisten im Budget nicht eingeplant waren, nun aber notwendig sind, um den Kontakt zu den Interessierten nicht zu verlieren. Aber wir können weiter arbeiten und geraten nicht, wie so manch Freischaffender, in existenzielle Not. Was mir positiv auffällt: Der Arbeitsrhythmus hat sich verändert. Alle sind fokussierter, konzentrierter auf das Wesentliche und verzetteln sich weniger in Terminen. Gleichzeitig erzwingen die Zeiten, in den Entscheidungen offen und flexibel zu sein, und mit Blick auf die Gemeinschaft zu denken. Das wäre etwas, was wir aus der Krise mitnehmen sollten.

Der Bremer Kultursenator Bovenschulte hat in einem Interview mit unserer Zeitung vor der Coronakrise Kultur als Grundnahrungsmittel bezeichnet. Warum muss die Stadt auf dieses Nahrungsmittel bis auf Weiteres verzichten?

Ich denke, der Lockdown entspricht nicht dem tatsächlichen Gefährdungpotenzial eines Museumsbesuchs. Im Gegenteil glaube ich, dass Museen – im Gegensatz vielleicht zu Theatern, Kinos oder Konzerthäusern, wo viele Menschen eng beieinander sitzen – weniger Ansteckungsgefahren bieten: Besucherzugänge lassen sich leicht strukturieren, Abstand ist gut einzuhalten, es gibt genügend Möglichkeiten, sich die Hände zu waschen und so weiter. Wir haben in der Weserburg sogar ein Kunstwerk, das aus zwei Desinfektionsspendern inmitten der Ausstellung besteht, die die Besucher benutzen sollen. Was vor Corona als Kommentar auf unsere überbesorgte Welt gedacht war, ist plötzlich eine Notwendigkeit, die kaum jemandem als ungewöhnlich auffallen wird. Ich sehe die Schließung aller Kultureinrichtungen, unabhängig davon, ob Museum oder Theater, als einen notwendigen Akt der Solidarität in Zeiten einer gesamtgesellschaftlichen Gefahr. Es ging darum, ein notwendiges Gefühl der Gemeinschaft herzustellen, ein Gefühl, dass wir alle im selben Boot sitzen und im Sinne aller verzichten müssen – ohne Ausnahme. Das finde ich richtig.

Die Kultureinrichtungen haben einen Teil ihrer Aktivitäten ins Internet verlegt. Gibt es belastbare Daten dazu, wie das angenommen wird?

Über unsere Social-Media-Plattformen und den Weserburg-Newsletter folgen uns aktuell rund 10.000 Interessierte, und das mit kontinuierlich steigenden Zahlen. Das Feedback ist insgesamt sehr positiv. Es ist klar: Wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen. Aber den positiven Trend wollen wir nutzen und mit interessanten Ideen und Angeboten in den nächsten Wochen und Monaten verstärken. Klar ist aber auch: Das Digitale ersetzt niemals die direkte Begegnung mit der Kunst! Aber sie kann sie sinnvoll ergänzen.

Entstehen dabei möglicherweise Formate oder Inhalte, die auch nach der Krise Ihr Programm prägen werden?

Definitiv. Die Notwendigkeit der Vermittlung unserer Projekte in den digitalen Bereich ist ja keine Neuigkeit. Corona hat uns nur gezwungen, uns schneller und intensiver dazu zu verhalten, als es ohne die Pandemie der Fall gewesen wäre. Wir haben also in der Weserburg vorhandene Formate ausgebaut und neue entwickelt. Das Angebot reicht dabei von interaktiven Instagram-Stories über informative Facebook-Postings, mit denen wir ausgewählte Kunstwerke vorstellen, bis hin zu einführenden Videos zu unserer großen Birgit-Jürgenssen-Ausstellung oder einer Reihe von Videovorträgen eines Berliner Künstlerduos über den Rechtsruck in unserer Gesellschaft. Außerdem möchten wir unseren permanenten Norbert- Schwontkowski-Raum virtuell zugänglich machen und denken über spezielle Angebote für Kinder und Jugendliche nach. Und nicht zu vergessen: der reichhaltige Fundus unserer Sound-Art-Collection, die vom Zentrum für Künstlerpublikationen betreut wird und in die man über unsere Website hineinhören kann. Hier bieten sich viele Möglichkeiten, die wir auch nach Corona verfolgen werden.

Lassen sich die wirtschaftlichen Schäden für Ihr Haus beziffern?

Für Zahlen ist es noch zu früh. Natürlich sind seit der Schließung Eintrittsgelder ausgefallen. Wie sich die aktuelle Lage auf das Besuchsverhalten der nächsten Monate auswirkt, ist noch nicht abzusehen, aber wir rechnen auch nach einer Wiederöffnung mit Einbußen. Ungemein wichtig ist, dass die Zuschussgeber, sowohl die öffentlichen als auch die privaten, ihre Förderzusagen uneingeschränkt aufrechterhalten haben.

Was könnte die Politik kurz-, mittelfristig und langfristig tun, um die Folgen der Krise abzufedern?

Für die Kultur heißt es auch hier, zwischen freier und institutioneller Szene zu unterscheiden. Unbürokratische, solidarische Hilfe, die wirklich greift, ist für Freiberufler und Künstler aller Sparten gerade unerlässlich. Ich halte die Diskussion eines bedingungslosen Grundeinkommens hier für sinnvoll – gerade jetzt, in Zeiten, in denen wir Solidarität als überlebenswichtig erleben. Für die Ausstellungshäuser wäre eine Kompensation der Verluste durch wegfallende Eintritte und sonstige Einnahmen, sowie durch Honorarzahlungen für Veranstaltungen, die nicht stattfinden konnten, sinnvoll. Mittel- bis langfristig könnten die digitalen Initiativen, die sich in den letzten Wochen als sinnvolle Ergänzung zum Erreichen des Publikums bewiesen haben, systematisch gefördert werden. Und nach den Erfahrungen der letzten Wochen setzt sich politisch wie gesamtgesellschaftlich hoffentlich endlich die Erkenntnis durch, dass Kultur kein Luxus, sondern eine notwendige Grundlage unserer Gesellschaft ist – und die offensichtlich fehlt, wenn sie nicht selbstverständlich zugänglich ist.

Um möglichst schnell wieder öffnen zu können, wären neben verschärften Hygienemaßnahmen auch Besucherbeschränkungen denkbar. Haben Sie dazu schon Pläne in der Schublade?

Wir sind sehr gut vorbereitet und hoffen, dass der Senat uns im Mai die Öffnung erlaubt. Wir haben beschlossen, bis zum Sommer keine Veranstaltungen durchzuführen und uns ganz darauf zu konzentrieren, einen sicheren und angenehmen Besuch unserer Ausstellungen zu garantieren, sobald das wieder möglich ist. Sowohl unsere Mitarbeiter als auch unsere Besucher müssen und können sich sicher fühlen. Damit wir alle uns wieder mit dem Grundnahrungsmittel Kunst versorgen können – und uns trotzdem keiner Gefahr aussetzen!

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