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Schwierige Wahrheit

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Diese Liebe ist schon Vergangenheit: Svetlana Aksenova als Desdemona. - Foto: dpa
Diese Liebe ist schon Vergangenheit: Svetlana Aksenova als Desdemona. © dpa

Hamburg - Von Ute Schalz-Laurenze. Der Eingangsakkord von Giuseppe Verdis vorletzter Oper „Otello“ kann fürchterlicher nicht sein: Er allein schon belegt die kommende Katastrophe. 16 Jahre lang hatte Verdi nach „Aida“ von 1871 keine Oper mehr geschrieben, ehe er 1887 mit „Otello“ – und danach noch mit „Falstaff“ – mit überragender Menschenkenntnis die berühmte Eifersuchtstragödie in Musik umsetzte – eine Fähigkeit, die bis heute fassungslos macht. Der Komponist Dieter Schnebel hat sie „die schwierige Wahrheit des Lebens“ genannt. Jahrelang hatte sich der Dreiundsiebzigjährige in den Stoff vertieft.

An der Hamburgischen Staatsoper hat jetzt der für Gewalt- und Sex-Exzesse berühmte und berüchtigte Katalane Calixto Bieito mit seiner vor zwei Jahren in Basel herausgebrachten Inszenierung debütiert: Die Inszenierung spaltete das Publikum in Buhs und Bravos gleichermaßen.

Die Buhs sind derweil unverständlich, denn Bieito zeigt zwischen Otello, Jago und Desdemona ein hochdifferenziertes Kammerspiel immer wieder ausbrechender Emotionen: Otello neigt nicht nur zur Gewaltätigkeit, sondern vollzieht sie auch, unter anderem, indem er Desdemona vergewaltigt. Eine Führungspersönlichkeit, die ihre Gefühle im Griff haben sollte, ist das nicht. Und am Ende stirbt der an seinen Minderwertigkeitsgefühlen Zugrundegehende nicht durch seinen Dolch, sondern an einem Herzinfarkt.

Jago als das Böse und Nihilistische schlechthin hat Otello brutal im Griff, sein berühmtes „Credo“ wird zum Zentrum der Aufführung. Und Desdemona steht dazwischen mit ihrem geradezu kindlichen Unverständnis, und mit der Größe ihres Gesanges, mit dem sie in den Tod geht.

Bieito mischt aber zwei Stilebenen, die nicht immer verständlich werden. Es gibt viel Brechtisches, geradezu Oratorienhaftes: Im Liedesduett des ersten Aktes, das die beiden Protagonisten weit auseinanderstehend singen, ist das leicht zu deuten und ergibt Sinn – diese Liebe ist eigentlich schon Vergangenheit. „Ich liebte dich“, singen beide. Im Duett zwischen Cassio und Jago ist das weniger einleuchtend, zumal es in deren zweitem Duett dann richtig realistisch zugeht. So gibt es immer wieder Bilder, die für eine psychologische Zeichnung nur angedeutet und nicht zu Ende gebracht werden. Das wird unterstützt durch die schwarzen Anzüge, die die Männer unterschiedslos tragen (Kostüme: Ingo Krügler).

Venedig und eine Hafenstadt auf Zypern gibt es hier nicht, nur einen schwarzen Vorhang – Trauer permanent – und ein überdimensionales, bewegliches Gerüst, in dem sich Otello und Desdemona verhaken (Bühne: Susanne Gschwendner).

Die unterdrückten Zyprioten, deren Besatzungschef Otello ist, werden am Anfang mit gereckten Händen hinter einem Stacheldraht gezeigt, eine Anspielung auf die Flüchtlingsproblematik unserer Tage, was aber für die Inszenierung Dekor bleibt, keine weitere Bedeutung hat. So gibt es quirlig inszenierte Chorszenen – das ausufernde Fest im ersten Akt – ebenso wie oratorienhaften Stillstand.

Bieito läuft aber keine Sekunde Gefahr, brutale Szenen so zu präsentieren, dass sie sich über die Musik hinwegsetzten. Im Gegenteil: Die manchmal geradezu kargen Szenen verhelfen der Musik nicht nur zu überdimensionaler Schönheit, sondern lassen ihr auch den Stellenwert szenischer Bedeutung.

Das ist auch dem italienischen Dirigenten Paolo Carignani zu verdanken, der mit wunderbaren Tempi immer wieder Klänge präsentiert, die unter die Haut gehen. Und es ist ein Abend der Sänger: Svetlana Aksenova betört durch die inhaltsstarke Schönheit ihrer Töne, Marco Berti als Otello findet nach anfänglicher Unsicherheit zu makellosem Heldengesang, und Claudio Sgura als Jago ist in seiner bösen Wucht und verführerischen Intrige eine Idealbesetzung.

Die nächsten Aufführungen: 11., 14., 17., 20., 25. Januar und 7. Februar, Staatsoper, Hamburg

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