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Sehnsucht nach der Göttlichkeit

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Von Johannes BruggaierHAMBURG (Eig. Ber.) n Dass sich nun auch das Thalia Theater der Twitter-Gemeinde angeschlossen hat, hätte sich in diesen Abend wunderbar einfügen lassen. Verweisen doch die weitgehend sinnfreien Auskünfte, die twitternde Mitarbeiter auf die Homepage des Hauses stellen („Heute Abend Premiere Peer Gynt. Premiere auch für mich! Ich springe an der Abendkasse ein!“), auf ein Grundproblem der Inszenierung.

Denn welchen Zweck sollte das Mitteilen von Banalitäten erfüllen, wenn nicht die Bestätigung der eigenen Existenz? Wer sich mitteilt, dokumentiert, dass er lebt. Ich twittere, also bin ich. Auch in Henrik Ibsens „Peer Gynt“ geht es frei nach Robert Lembke um die Frage: Wer oder was bin ich? Und: Bin ich überhaupt?

Auf der Suche nach der Antwort, sagt Regisseur Jan Bosse, strebt der Mensch in die Ferne: „Von sich weg. Immer nach außen, in die Fremde, in die Welt, in den Urlaub […] in die Orgie, in den Rausch.“ In diesem Fall der Expansion will er mehrere Leben zugleich führen, mehrere Existenzen sein eigen nennen, ja: Gott sein. Alternativ dazu geht der Mensch in sich hinein: „So tief es geht nach innen. Sich spüren. Sich entdecken […] Ganz bei sich sein. In sich wühlen.“ Dann will er nichts anderes als sich selbst: „Ganz ich sein. Ich, ich, ich.“ Nur eins geht offenbar nicht: einfach nur normal leben.

Auch Peer Gynt (Jens Harzer) will immerfort aufbrechen, sich ständig neu erfinden, Prophet werden, Kaiser, Gott. Schon bei seinem ersten Auftritt sind seine Umzugskisten gepackt. Bis unter den Schnürboden reicht die Wand aus Pappkartons. Davor steht der junge Peer selbst: unscheinbar in grau-blauer Kleidung, Dreitagebart. „Peer, du lügst!“ ruft ihm seine Mutter Aase (Karin Neuhäuser) zu. Das stimmt. Denn seine Geschichte von dem Bock, der ihn mal eben Huckepack genommen habe, um anschließend geradewegs in den „Höllen trichter“ zu springen, ist doch mehr der Bericht eines Hochstaplers als das Zeugnis eines tüchtigen Jägers. Und dann der Tonfall: In kindlich schwärmerischem Singsang trägt Peer seine Fantastereien vor, als sei er nicht von dieser Welt.

Das will er auch gar nicht sein. Zumindest nicht von „dieser“ Welt: der Welt seines Dorfes mit all den tumben Gestalten, wie dem Haegstad-Bauer (Hans Löw), dem Schmied (Robert Kuchenbuch) oder dem dummen Matz Moen (Sebastian Zimmler). Selbst die schöne Solveig (Marina Galic) kann seine Liebe nur kurzzeitig erlangen. Zu groß ist der Drang nach all dem da draußen: nach dem Fremden, der Welt, der Orgie, dem Rausch.

Und deswegen begibt er sich auf die Reise: mit seinen Pappkartons, die – wie sich jetzt bei Drehung der Bühne zeigt – nicht allein zu einer Wand, sondern zu einem ganzen Gebäude gestapelt wurden. Mal brechen daraus Trolle hervor, mal tanzt er inmitten der Kisten als orientalischer Kaiser mit der schönen Anitra (Anne Müller), und mal kämpft er sich auf ihnen als Schiffspassagier durch stürmische See. Es gibt für all diese Unternehmungen zweifellos stabilere Konstruktionen als solche Kartons. Aber zeigt sich darin nicht bloß die Zerbrechlichkeit unserer hochfliegenden Träume?

Immer, wenn Peer Gynt eben diese Zerbrechlichkeit erfahren muss, entschließt er sich zur Umkehr. Dann ist es zunächst vorbei mit der angestrebten Göttlichkeit, drängt es ihn vielmehr zur Selbsterkenntnis. So tief es geht nach innen gehen: ganz bei sich sein, ich, ich, ich. In diesen Fällen ist dann auch Solveig wieder willkommen. Als geduldige Beobachterin, die Peer nicht als Kaiser liebt und nicht als Geschäftsmann, sondern als den, der er ist.

Auf seiner Achterbahnfahrt zwischen Erfolgen und Abstürzen, zwischen Träumen und Wirklichkeiten könnte man diesem Peer Gynt schier endlos zuschauen. Denn die Art und Weise, wie sich Jens Harzer dieser vielgestaltigen Figur nähert, markiert eine Sternstunde der Schauspielkunst. Rührende Naivität verbindet sich hier mit kühler Berechnung, feinsinnige Ironie mit tiefer Tragik. Karin Neuhäuser stellt ihm eine wunderbar resolute Mutter zur Seite. Und Marina Galic überzeugt als unnahbares Mysterium der bedingungslos Liebenden.

Der Inszenierungsansatz aber offenbart an diesem Abend seine Tücken. So erscheint zwar das von Stéphane Laimé verantwortete Bühnenbild auf rationaler Ebene schlüssig. Aus ästhetischer Sicht aber wären reizvollere Requisiten denkbar als braune Pappkartons. Über dreieinhalb Stunden hinweg kann sich eine solche Optik leicht zu einer Zumutung entwickeln. Bosses raffinierte Auseinandersetzung mit den Sehnsüchten des Menschen wird auf diese Weise zu einem gleichermaßen erhellenden wie anstrengenden Unterfangen, das ohne den Glanz des Hauptdarstellers aber wohl ein Fall für Germanisten geblieben wäre.

Weitere Vorstellungen am 22. September sowie am 9. und 23. Oktober, jeweils um 19.30 Uhr im Thalia Theater.

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