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In Sichtweite des Krieges

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Bremen - Von Jens Laloire. Als vor drei Jahren Ralf Rothmanns „Im Frühling sterben“ erschien, verhinderte der Autor eine Nominierung seines Romans für den Deutschen Buchpreis, obwohl dieser vorab von vielen Kritikern als Mitfavorit gehandelt worden war.

Rothmann verzichtete damit nicht nur auf ein mögliches Preisgeld von 25.000 Euro, sondern auch auf ein enormes Maß an Publicity. Ein Verzicht dieser Art mag ungewöhnlich erscheinen, passt aber zu Rothmann, denn der 1953 in Schleswig geborene und im Ruhrgebiet aufgewachsene Schriftsteller ist ein öffentlichkeitsscheuer Vertreter seiner Zunft.

„Im Frühling sterben“ schaffte es letztlich auch ohne Buchpreis auf die Bestsellerlisten und avancierte zum bisher größten Erfolg eines Erzählers, dem lange das Etikett „Ruhrpott-Poet“ anhaftete, obwohl er bereits seit 1976 in Berlin lebt. Nun ist pünktlich zu Rothmanns 65. Geburtstag sein inzwischen neunter Roman erschienen – „Der Gott jenes Sommers“ knüpft an den Vorgänger aus dem Jahr 2015 an. 

Während Rothmann darin die tragische Freundschaftsgeschichte der beiden 17-jährigen Melkergesellen Walter und Fiete schildert, wendet er sich im Nachfolgewerk der zwölfjährigen Luisa zu. Nach der Bombardierung Kiels muss Luisa mit ihrer Mutter und der älteren Schwester Anfang 1945 aufs Land fliehen.

Untergebracht wird die Familie auf jenem Gutshof, auf dem Walter und Fiete arbeiten. Doch während die beiden im Frühjahr eingezogen und an die Front nach Ungarn geschickt werden, erlebt die leidenschaftliche Leserin Luisa die letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs auf dem norddeutschen Land. 

Krieg durch Fliegerangriffe und Rationierungen präsent

Allerdings ist der Krieg hier ebenfalls präsent. Zum einen ganz direkt durch britische Fliegerangriffe, zum anderen durch rationierte Lebensmittel, konfiszierte Pferde und die Ankunft zahlreicher Flüchtlinge aus den Ostgebieten. Aber natürlich ist der Krieg darüber hinaus allgegenwärtig in den Gesprächen, in denen die einen die bevorstehende Wende mithilfe von Hitlers vermeintlicher Wunderwaffe beschwören, während die anderen hinter vorgehaltener Hand auf den baldigen Einmarsch der Amerikaner oder Briten hoffen.

Den Ton geben indes weiterhin die strammen Nazis an – wie Luisas Schwager Vinzent, ein SS-Offizier, oder Luisas Lehrer Simonis, der ihr für einen Aufsatz eine Sechs gibt, weil sie statt „Geldbörse“ und „vergnügen“ französische Begriffe wie „Portemonnaie“ und „amüsieren“ verwendet hat. 

Aber auch alle anderen verhalten sich, wenn es darauf ankommt, opportun und schauen weg, wenn Leute abgeführt, ein notgelandeter englischer Pilot von Vinzent erschossen oder die abgemagerten Häftlinge des nahegelegenen Straflagers zu Straßenarbeiten gezwungen werden. Nur Luisas temperamentvolle Schwester Billie reißt auch dann ihre Klappe auf, wenn alle anderen schweigen. Ihr loses Mundwerk wird ihr später jedoch zum Verhängnis.

Behutsame Erzählung

Wie in so vielen seiner Texte zeichnet sich Rothmann in „Der Gott jenes Sommers“ dadurch aus, dass er behutsam erzählt, nicht jedes Ereignis explizit schildert, sondern vieles ausspart oder bloß andeutet. Diese Erzählweise eignet sich gut, wenn die Welt mit den Augen einer Zwölfjährigen betrachtet wird, die noch nicht alles durchblickt; die Sprache hingegen entspricht keinesfalls der eines jungen Mädchens.

Das wird vor allem in jenen Passagen deutlich, in denen präzise mit dem passenden Vokabular ein Fliegerangriff, das Interieur eines Salons oder die Geburt eines Kalbs beschrieben wird. Hierbei entstehen zwar stets einprägsame Szenen, aber insgesamt ist Rothmann an manchen Stellen vielleicht ein wenig zu verliebt in seine detaillierten Beschreibungen, ist sein Ton manchmal zu zärtlich in Anbetracht der vorherrschenden Brutalität, Grausamkeit und Gleichgültigkeit.

Dennoch ist „Der Gott jenes Sommers“ ein lesenswertes Buch eines stilsicheren, einfühlsamen Erzählers, auch wenn es dem Roman insgesamt an der Tiefe und Wucht seines Vorgängers mangelt und er darüber hinaus nicht ganz an einige andere Werke von Rothmann heranreicht.

Ralf Rothmann: „Der Gott jenes Sommers“, Suhrkamp, Berlin, 256 Seiten, 22 Euro.

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