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Magazine „Spex“, „Intro“ und „Groove“ sind ab sofort Geschichte

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Schluss, aus, vorbei: „Spex“ gibt es zukünftig nur noch im Internet. Foto: Rolf stein
Schluss, aus, vorbei: „Spex“ gibt es zukünftig nur noch im Internet. © Rolf Stein

Syke – Von Jan-Paul Koopmann. Gestorben wird immer. Das gilt selbst im Pop, der ja recht geschickt darin ist, einem das Gegenteil glauben zu machen – mit seinen Revivals, den ewigen Wiederholungen und dieser Übermenschlichkeit seiner Stars.

Waren es vor einem Jahr noch die tatsächlich massenhaft verblichenen Musiker, denen die Betrachtungen zum Jahreswechsel alle miteinander nachtrauerten, ging es in der Zwischenzeit nun vor allem den Reflexionsorganen an den Kragen. Mit „Intro“, „Groove“ und „Spex“ sind in 2018 gleich drei der wohl wichtigsten deutschen Pop-Magazine eingegangen.

Die allgemeine Printkrise kann das sicher zum Teil erklären. Spätestens als die „Spex“ vor ein paar Jahren dünner wurde und ihre Auflage schließlich auf 8000 halbieren musste, war die Not offensichtlich. Auch das allerorten erodierenden Anzeigengeschäft spricht eine klare Sprache. Das tatsächliche Ende ist keine große Überraschung, weniger dramatisch wird es dadurch aber nicht. Denn das informierte Nachdenken und Schreiben über Pop war entscheidend für die Sache selbst – für Musik und die Subkulturen, die von Kunst mehr wollten (und bekommen haben) als eben nur regelmäßigen Nachschub an neuen Platten.

„,Spex‘ sollte kein Heft der Vogelperspektive sein, sondern aus der Mitte des Geschehens berichten“, schrieb Chefredakteur Daniel Gerhardt im Editorial der vorletzten Ausgabe, „die große Zahl unserer Autoren, die auch künstlerisch tätig sind, war alles andere als ein Zufall.“ Und das ist nun, was gerade auf dem Spiel, oder doch mindestens auf dem Prüfstand steht: dieses Miteinander von Diskurs, Kunst und Theorie.

Popzirkus läuft dennoch weiter

Es gibt Schlimmeres, mag man meinen, der Popzirkus geht auch ohne weiter. Und wenn man ehrlich ist, war die „Spex“ auch zu ihren Hochzeiten vor rund 30 Jahren ein Programm für Minderheiten. Postpunk, New Wave und so weiter waren personell überschaubar groß – und auch in der Szene waren längst nicht alle begeistert vom akademischen Duktus des Magazins und von seinen intellektuellen Ausschweifungen, deren Zusammenhang mit dem eigentlichen Musikgeschäft nicht immer unmittelbar erkennbar war.

Doch es geht ja nicht nur um die „Spex“: Auch „Intro“ und „Groove“ haben in ihren jeweiligen Sparten eine Sinnstiftung betrieben, von der die Musik zehrt, die ihren Stellenwert für das Leben des Publikums ausgemacht und es nicht selten politisiert hat.

Banal, aber wahr: Die Zeiten haben sich geändert. Streamingdienste und Kundenrezensionen haben die Kritik als Kerngeschäft des Musikjournalismus abgelöst. Das weiß auch die Industrie: Neue Platten kommen heute ohne großes Vorgeplänkel auf den Markt und landen dank der Nutzerprofile von zahllosen Social Media Plattformen und Onlineshops wenigstens ungefähr da, wo man sie auch hören will. Dass heute Big Data den Musikgeschmack kuratiert und nicht länger die Fachpresse – das ließe sich mit ein bis zwei zugedrückten Augen ja sogar auch als Demokratisierung verstehen.

Vorreiter des kritischen Musikhörens

Das ist allerdings nur die halbe Geschichte. Denn natürlich hatten die Magazine längst aufgehört mit autoritären Daumen-Rauf-Daumen-Runter-Besprechungen. Nachlesen lässt sich das nun auch in der letzten gedruckten „Spex“, der Nummer 384, die nach Weihnachten in den Zeitschriftenhandel gegangen ist. Da werden noch einmal Schlaglichter geworfen auf die Geschichte einer Zeitschrift, die mit Autoren wie Diedrich Diederichsen, Clara Drechsler, Mark Terkessidis und Dietmar Dath ein kritisches Musikhören vorgeführt hat. Und zum Widerspruch aufgefordert hat. Warum das heute noch wichtig ist, zeigen Texte zur aktuellen Debatte um das Antisemitismus-Buch von Oliver Polak, oder die afrikanische Kultur-Renaissance im Fahrwasser von Popprodukten wie Marvels „Black Panther“ Verfilmung.

In dieser letzten gedruckten „Spex“ steht dann auch die gute Nachricht, dass es online schon noch irgendwie weitergehen soll. Mit einer Bezahlschranke, hinter der neben neuen Texten das Heftarchiv wartet. Auch das Elektro-Magazin „Groove“ versucht sich an einer Onlinestrategie, aber die Krise, die eben auch eine inhaltliche ist, lässt sich damit kaum wegreden.

Werbung oder Hinterhergerenne

Paradoxerweise hat ausgerechnet die Auflösung des traditionellen Plattenmarkts in Zeiten der Streaming-Flatrate ein Mehr an Markt gebracht: den der Aufmerksamkeit. Damit verwandt ist die Eventisierung der Musik, die derzeit auch der klassischen Diskothek und den Musikkneipen das Genick bricht. Diese Schauplätze der Popkultur verwaisen, weil ja heute vom Frühling bis in den Herbst irgendwo irgendwelche Festivals stattfinden. Musikjournalismus macht heute entweder (zwangsläufig unkritisch) Werbung für das Kommende – oder rennt hoffnungslos hinterher.

Vielleicht ist das die Erkenntnis zum Jahreswechsel: Das Organversagen der Poptheorie kam erstaunlich spät. Und weil die „Spex“ – wie gesagt – keine strikte Trennung zwischen Kunst und Reflexion kannte, steht das interessanteste zur Branche dann auch weit unten in einem Bandinterview mit den Goldenen Zitronen: Man müsse sich mal trennen davon, den Premieren von Film oder Theater hinterherzurennen, sagt Diedrich Diederichsen da, sondern über die Sachen sprechen, wenn sie wichtig sind: „Gegenwartsorientiert, aber nicht mehr anlassorientiert.“ Wie das unter den Bedingungen der immer enger werden Diskursorte aussehen könnte, steht da noch nicht. Aber wer weiß: Vielleicht wird 2019 ja nicht nur alles anders, sondern sogar ein bisschen besser.

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