Es ist laut. Dafür sorgen neben dem revolutionären Geschrei das Schlagzeug, Elektrobeats und ein Alt-Saxofon der russischen Irgendwas-mit-Punk-Kombo Awott (Asian Women on the telephone), die irgendwo zwischen ausufernder Opern-Stimme und melancholischem Saxofon wabert.
Der Produzent des Stückes (noch ein Mann) hatte vor der Vorstellung das Publikum dazu aufgerufen, sich so Punk wie möglich zu verhalten. Aber das ist schwer: Ganz voll ist der Saal der Kulturetage in Oldenburg nicht. Zu viel Bestuhlung und zu wenig Punkmusik lassen kein Pogo zu. Und Bierdosen zum Schmeißen hat sowieso niemand dabei. Putin ist weit weg und das Leben hier doch eigentlich ganz in Ordnung. Oder nicht?
Die Nummer mit den Wasserflaschen ist der Höhepunkt. Das kalte Wasser im Gesicht und die Schmerzen im Auge vom Schraubverschluss aus Hartplastik markieren die Ankunft im Straflager. Auch Aljochina gießt sich eine Flasche über dem Kopf aus. Das Wasser im Gesicht fühlt sich irgendwie richtig an. Es weckt auf. Spült den Grauschleier von den Augen, den man vom Untertitel-Lesen bekommen hat. Wäscht den dicken Film aus russischem Geschrei, Alt-Saxofon und Protest-Pathos weg. Das, was Aljochina „Revolution gegen Putin“ nennt, ist damit vorbei: Aus der Traum vom solidarischen Russland – statt Revolution und Umwälzungen gibt es jetzt Gulag.
Der Bruch auf der Bühne wirkt tatsächlich stark, auch wenn er natürlich nur eine Idee vom Straflager vermittelt. Aber schon das tut weh: Als würde man nicht in der perfekt ausgeleuchteten und gediegenen Oldenburger Kulturetage sitzen, sondern in der russischen Taiga ankommen.
Das also ist der Ort, an den man gelangt, wenn man in der Christus-Erlöser-Kathedrale dreimal laut auf Russisch „Scheiße Gottes“ schreit – „Sran‘, sran‘, sran‘ Gospodnya“. Wo die Tränen gefrieren und Psychopharmaka Menschen ruhig stellen sollen. Nebelmaschinen hüllen die Bühne in Rauch. Danach: Schmerz, Schreie, Hungerstreik.
Das Stück endet mit einem Appell für Bewegung. „Es ist wichtig, für seine Freiheit zu kämpfen. Ich kämpfe jeden Tag für meine Freiheit“, schreit Aljochina auf Zehenspitzen am Bühnenrand. Spotlight ins Publikum. „Und ihr?“
Nichts rührt sich. Alles still. Irgendwann kommt Applaus. Sozial erwarteter Applaus, der die angespannte Stille vertreibt. Aljochina lächelt leicht, winkt etwas unbeholfen. Musik setzt ein. Zum richtigen Beat könnte man jetzt auch tanzen. Aber an der Stelle, wo der Bass droppen müsste, hört alles auf – wieder Stille.
Pussy Riot Performance: Samstag um 20 Uhr, Kulturzentrum Schlachthof.