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Text schlägt Theater

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Komödiantisch und temporeich: Aljoscha Stadelmann und Juliane Fisch. ·
Komödiantisch und temporeich: Aljoscha Stadelmann und Juliane Fisch. · © Foto: Katrin Ribbe

Hannover - Von Jörg WoratCarl Sternheims Trilogie „Aus dem bürgerlichen Heldenleben“ an einem Abend auf die Bühne zu bringen – das ist ein ambitioniertes Unterfangen. Ob es auch ein kluges ist, kann man nach der Premiere im Schauspielhaus nachhaltig diskutieren.

Die in den 1910er uraufgeführten Werke stellen aufgrund ihres doch recht unterschiedlichen Charakters jeden Regisseur vor Probleme. Das ging Milan Peschel nicht anders, der zuletzt vor allem als Schauspieler Furore machte und da besonders in der Rolle eines todkranken Familienvaters im Film „Halt auf freier Strecke“. Seine Lösungen funktionieren nur bedingt.

Am besten noch im Auftaktstück „Die Hose“, durch seinen Lustspielcharakter vielerorts der Favorit der Trilogie. Das birgt allerdings auch Gefahren, zumal der Inhalt – die Gattin eines kleinen Beamten verliert auf der Straße ihre Unterwäsche und löst damit allerlei Begehrlichkeiten aus – aus heutiger Sicht befremdliche bis läppische Züge trägt. Peschel unterläuft diese Schwierigkeiten nicht ungeschickt, indem er aus dem Stoff eine Art übergeschnapptes Volkstheater macht. Die Figuren zappeln und brabbeln zwischenzeitlich, als seien sie von allen guten Geistern verlassen, und erreichen dadurch eine Qualität irgendwo jenseits der Karikatur. Das hat fast surreale Reize und auf der anderen Seite den Nachteil, dass man die Charaktere endgültig nicht mehr ernst nehmen kann. Wenngleich die gar zu drastischen Effekte ausbleiben, die nach Peschels langen Jahren an Frank Castorfs Berliner Volksbühne eventuell auch zu befürchten wären.

Danach rückt die Handlung näher an die Wirklichkeit heran, was die Sache aber kurioserweise nicht unbedingt besser macht. Die Grundstrukturen in „Der Snob“ und „1913“ sind in psychologischer wie historischer Hinsicht durchaus interessant, da Sternheim die Familiengeschichte mehrfach kippen lässt: Zunächst wird aus dem Sohn des Heuchlers Theobald Maske aus der „Hosen“-Story ein fieser Emporkömmling, der sich seiner Eltern schämt und im letzten Teil der Trilogie wiederum mit der eigenen Tochter und deren Neigung zu moralisch fragwürdigen Waffengeschäften im Clinch liegt.

Allerdings raschelt in diesen Texten auch bedenklich das Papier, und es ist Peschel kaum gelungen, das Geschehen theatral aufzuladen. Es hat sogar ein bisschen was von Hilflosigkeit, wenn die Schlauchbühne aus der „Hose“ sich nun beträchtlich erweitert und nachher von kräftigen Bühnenarbeiterhänden regelmäßig in Bewegung versetzt wird, um neue Ansichten zu enthüllen. Live-Musik gibt es auch, wofür Pianist Juri Kudlatsch zuständig ist; sie hat einigen Charme und wirkt gleichwohl ebenfalls alles andere als zwingend.

Oft regiert nun der große Sprachduktus, ohne wirklich mitreißen zu können, und ein paar Gags – die nicht gar zu helle Enkelin Ottilie quiekt etwa gern mal ein „Is das geil“ in die Gegend – lockern das Geschehen kaum auf. Schon in der (einzigen) Pause sind manche Besucher gegangen, gegen Ende des kaugummiartig auf viereinhalb Stunden ausgedehnten Abends sieht man zunehmend höflich gelangweilte Gesichter in den Zuschauerreihen.

Das ist noch am wenigsten die Schuld der Darsteller. Aljoscha Stadelmann als Theobald Maske und später als dessen Enkel beweist beispielsweise einmal mehr sein Händchen fürs Komödiantische, wobei der Hang zur leichten Überzeichnung gleich mitgeliefert wird, und auch Mathias Max Hermann hat in diversen Rollen seine konzentrierten Momente. Gleichwohl lautet das Fazit: ein langer Abend, aber bestimmt kein großer.

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