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Tragisch austauschbar

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Flüchtlingsdrama in karger Kulisse: Fabrizio Gattis Reportage „Bilal“ auf der Bühne. ·
Flüchtlingsdrama in karger Kulisse: Fabrizio Gattis Reportage „Bilal“ auf der Bühne. · © Foto: Landesbühne Niedersachsen Nord

Von Andreas SchnellWILHELMSHAVEN · Der 1966 in Como geborene Journalist Fabrizio Gatti gilt als „italienischer Wallraff“. Immer wieder recherchiert er mit verdeckter Identität zu Themen wie Menschenhandel, Kriminalität oder illegaler Immigration.

So auch, als er sich für seine Reportage „Bilal“ dem Flüchtlingsstrom anschloss, der sich von Nord nach Süd bewegt, aus Afrika ins gelobte Land Europa, wo gigantische Hühnerkeulen und Micky Maus auf die Menschen warten. So erträumen es sich zumindest die Flüchtlinge in der Bühnenfassung von Gattis Reportage „Bilal“, die am Wochenende in Wilhelmshaven im Beisein des Autors Uraufführung hatte.

Der Schweizer Schriftsteller Peter Höner hat die Reportage in eine Bühnenform gebracht, die gar nicht erst versucht, die Reise durch die Wüste darzustellen. Das Stück spielt an einem einzigen Ort, in der Oasenstadt Dirkou in Niger, wo für viele die Reise durch die Sahara beginnt. Hier laufen Geschichten zusammen, die jede für sich allein ein Drama wären.

Zu Beginn lernen wir Gatti zuhause kennen, wie er sein Vorhaben verteidigt, als Bilal durch die Wüste zu reisen. Frau und Kind habe er, verantwortungslos sei das. Aber er lässt sich nicht erschüttern. Er will wissen, wer an der Migration verdient, was das für Menschen sind, die sich unter Lebensgefahr aufmachen in die Festung Europa und oft genug scheitern. Wenn sie Glück haben, müssen sie nur umkehren. Haben sie wenig Glück, enden sie im „größten Massengrab unserer Zeit“, dem Mittelmeer.

In der Oase wird Gatti schnell enttarnt. Aber er will trotzdem bei den Menschen bleiben, ihre Geschichten sammeln, helfen. Er erfährt die Brutalität der Polizei am eigenen Leib, wird bestohlen, geschlagen, schikaniert, genau wie die anderen Flüchtlinge. Er hadert mit sich selbst, weil er auch Geld mit den Geschichten dieser Menschen verdienen will. Und muss am Ende erkennen, dass mit Worten allein die Welt nicht zu verändern ist.

Eva Lange inszeniert das in tiefer Schwärze in karger Kulisse, auf einer schiefen Ebene, nichts lenkt ab von den Figuren. Schlafsack, Wasserkanister und Geld sind die einzigen Requisiten. Bis auf den Protagonisten, gespielt von Sven Brormann, spielen alle Ensemblemitglieder mehrere Rollen, sind mal Soldaten oder Polizisten, mal Flüchtlinge – Teil eines Ganzen. Und: Es konterkariert die Tendenz von Höners Bühnenfassung, das Politische weitgehend auszublenden und uns stattdessen mit Schicksalen zu konfrontieren. Die wechselnden Funktionen des Bühnenpersonals verdeutlichen: Die individuellen Geschichten sind bei aller Tragik austauschbar.

Zwar geht dem durch abrupte Schnitte atmosphärisch dichten Abend gelegentlich etwas die Puste aus, aber das dramaturgische Konzept geht weitgehend auf. Zwar kennen wir die Geschichten aus den Medien, von den Menschen in den Schlauchbooten, die über das Mittelmeer ihrer Abschiebung entgegen reisen. Aber in der Zeitung tauchen sie lediglich als Zahlen auf.

In Eva Langes Inszenierung lernen wir sie kennen als ganz normale Menschen wie du und ich – nicht zuletzt eben, weil sie dargestellt werden von Schauspielern, die aussehen wie wir, Menschen mit ganz normalen Sehnsüchten, nach einem besseren Leben, einem bisschen Glück.

Weitere Aufführungen: Freitag, 27.1., 19.30 Uhr, Theater auf der Werft Papenburg, Mittwoch, 1.2., 19.30 Uhr, Theater an der Blinke, Leer, Freitag, 3.2. und Montag, 6.2., 20 Uhr, Stadttheater Wilhelmshaven

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