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„Der Traum vom Wiener Kaffeehaus ist vorüber“

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Der Schriftsteller Geoff Dyer in London. - Foto: Gebhart
Der Schriftsteller Geoff Dyer in London. © Gebhart

London - Von Volker Gebhart. „Aus schierer Wut“ hat Geoff Dyer ein Buch (unter eben diesem Titel) über den Schriftsteller D. H. Lawrence (1885 bis 1930) geschrieben. Dass der britische Autor in seinen Recherchen immer wieder ordentlich vom Weg schleudert, ist nur eine der Stärken des komischen und sprachgewaltigen Buchs.

Dyer nimmt es mit seiner eigenen Schaffenskrise darin ebenso originell auf wie er Lawrences umfangreiches Werk anhand von Briefen fachkundig diskutiert. Dyers Arbeiten, darunter vier Romane und sieben Bücher mit Essays, wurden in bisher 24 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Im Interview spricht Dyer über den Einfluss von Thomas Bernhard, die Langsamkeit von Übersetzungen und das Gefühl, in seinem neuen Zuhause Los Angeles wie abgeschnitten zu sein.

„Aus schierer Wut“ erscheint fast 20 Jahre nach der Veröffentlichung des Originals in deutscher Sprache. Wie fühlt es sich an, dass der Text nach so langer Zeit nun in Übersetzung neu erscheint?

Geoff Dyer: Leider ist das ein Gefühl, das mir sehr geläufig ist. Oft ist es ein langer Weg zur Publikation in anderen Ländern. Ich musste zum Beispiel 25 Jahre warten bis mein Roman „The Colour of Memory“ in Amerika erschienen ist.

Wie ist ihr Verhältnis zur Übersetzung ihrer Arbeiten, in denen Sprache ja eine große Rolle spielt?

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Dyer: Ich bin sehr glücklich damit, dass meine Bücher in andere Sprachen übersetzt werden. Meine Agentur sendet mir diese immer zu. Ich erhielt zum Beispiel eine Übersetzung ins Koreanische mit der Bitte um meine Freigabe (lacht). Ich habe dann nur gesagt: „Sieht gut aus.“ Als zum ersten Mal eins meiner Bücher übersetzt wurde, in diesem Fall ins Italienische, dachte ich mir, das müsse ein großartiger Weg sein, um eine neue Sprache zu erlernen, aber natürlich war das dann nicht der Fall. 

Was das Buch über D. H. Lawrence angeht, hatte ich mir sehr erhofft, dass es auf Deutsch erscheint. Ich dachte mir, die deutsche Leserschaft könnte den sehr deutlichen Einfluss von Thomas Bernhard interessant finden. Vielleicht wird dieser sehr offensichtlich hergeleitet wirken, was auch der Fall ist.

„Aus schierer Wut“ ist nicht nur ein Buch über D. H. Lawrence, es ist auch eine Auseinandersetzung mit dem Schreibprozess und darüber, den richtigen Platz zum Leben und zum Schaffen von Kunst zu wählen. Sie leben jetzt in Los Angeles. Haben Sie damit den idealen Ort gefunden?

Dyer: Nein, Los Angeles scheint mir als Ort sehr beliebig zu sein. Andererseits wollte ich immer schon in Kalifornien leben. Wenn Du in Los Angeles lebst, dann fühlst Du dich abgeschnitten von dem, was auf dem Rest der Welt passiert. Das ist mir sehr klar geworden, als ich über Theodor W. Adorno geschrieben habe. Adorno war weit weg, während der zweite Weltkrieg tobte, noch mehr entfernt vom Geschehen in Europa als ich es heute bin, denn heute verfügen wir über andere Kommunikationsmittel. Andererseits findet sich dort, wo ich mit meiner Frau lebe, heute kein Zeitungsstand mehr. Natürlich können wir zum Beispiel Nachrichten online lesen, aber etwas Symbolisches fehlt.

Ziemlich traurig.

Dyer: Ja, furchtbar. Der Gedanke an das Wiener Kaffeehaus mit all den Zeitungen – das ist ein nostalgischer Traum geworden.

Beim Besuch des Lawrence-Museums in Eastwood spürten Sie zunächst Eile, diesen so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, dann Erleichterung, sobald Sie wieder draußen waren. Wieso ist die Konfrontation mit Orten, die mit dem Schaffen von Kunst verknüpft sind, oftmals nicht besonders beeindruckend, und weshalb führen Sie diese Reisen so, wie es in ihrer neuen Essay-Sammlung „White Sands“ nachzulesen ist, trotzdem fort?

Dyer: Es handelt sich um Neugierde. Zu sehen, was vor Ort vorzufinden ist. Natürlich in der Hoffnung, dass dort ein radioaktives Spurenelement auszumachen ist, das man tatsächlich spüren kann. Das ist selten der Fall. Wenn der betreffende Ort nicht in Form eines Museums erhalten ist, ist es oftmals interessant zu sehen, zu welchem Grad das Wissen um einen Ort diesen in der Wahrnehmung verändert. Die stärkste Manifestierung dessen, die ich erlebte habe, war bei meinem Besuch des Theodor-Adorno-Hauses in Los Angeles. Es ist so wenig bemerkenswert und unauffällig, aber dann ist da die Tatsache, dass Adorno in diesen vier Wänden gelebt hat.

Jetzt arbeiten Sie an einem Buch über den Fotografen Garry Winogrand. Wie sieht ihr Fokus für diese Arbeit aus?

Dyer: Es ist eine Diskussion der Bilder, kein Buch über Fotografie. Die Bilder sind ja schon Fotografien. Mein Buch befasst sich mit anderen Aspekten. Ich versuche mich selbst immer an Folgendes zu erinnern: Erarbeite ein Buch, das nur du selbst schreiben kannst, nicht ein Buch, das jeder verfassen könnte. Es hilft sehr, das im Hinterkopf zu bewahren.

„Aus schierer Wut - In D. H. Lawrence’ Schatten“ von Geoff Dyer ist erschienen bei Dumont.

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