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Punk im Nebel

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Turbostaat-Sänger Jan Windmeier spielt mit seiner Band vor ausverkauftem Haus. - Foto: Röhrs
Turbostaat-Sänger Jan Windmeier spielt mit seiner Band vor ausverkauftem Haus. © Röhrs

Bremen - Von Matthias Röhrs. Es ist die typische Szenerie eines Punkrock-Konzerts im Bremer Lagerhaus. Turbostaat tritt am vergangenen Donnerstagabend hier auf und sorgen für einen ausverkauften Saal.

Zahlreiche Anhänger der Band stehen vor dem Haus und hoffen auf Restkarten. Drinnen ist es eng und stickig. Wer vorne im „Mosh-Pit“ mitmischen will, muss sich früh in Bühnennähe positionieren. Endlich betritt Turbostaat die Bühne und spielt die ersten Töne. Sofort springen die Zuschauer hin und her, wie Wellen branden sie immer wieder an den Bühnenrand. Sänger Jan Windmeier muss ein ums andere Mal zurückspringen. Meer, Küste – die Musik der Schleswig-Holsteiner ist von ihrer Herkunft durchzogen.

Nebel prägt das Bühnenbild in Bremen, das Turbostaat für diesen Auftritt gewählt hat. Dieses fällt spartanisch aus – hanseatisch zurückhaltend sozusagen. Neben dem Equipment und den Musikern selbst steht dort lediglich eine einzelne nackte Glühlampe auf einer etwa anderthalb Meter hohen Stange. Strapaziert man die Küstensymbolik weiter, könnte man auch einen Leuchtturm hineininterpretieren. Vielleicht ist es aber auch einfach nur eine Lampe.

Einen Leuchtturm benötigte im Lagerhaus zumindest niemand. Die Energie der Band überträgt sich ohne Weiteres auf ihr Publikum, das mitsingt, mitbrüllt – als Teil des Ganzen.

Klarheit herrscht dennoch selten. Die Flensburger singen Texte wie ein norddeutscher Küstennebel: Geschichten von geheimnisvollen Figuren – abseits jeder Oberflächlichkeit und mit viel Interpretationsspielraum. Die Musik ist eindeutig Punkrock, In den Texten muss man nach einer Punk-Attitüde eher suchen. Turbostaat hat sich schon immer kryptisch gehalten.

Ihr politisches Engagement abseits der Bühne ist unbestritten. Regelmäßig verurteilen sie beispielsweise rechte Gesinnung, Fremdenhass und Homophobie. In der Musik gehen sie – im speziellen Gitarrist und Texter Marten Ebsen – auf die Meta-Ebene. Andere Szenegrößen wie „KMPFSPRT“ oder Pascow fordern direkt zum Aufstehen und Widerstand auf oder stellen die genannten Ideologien lautstark an den Pranger. Ein anderes gutes Beispiel dafür trat in Bremen erst wenige Minuten vor Turbostaat auf. Terra Flop – aus der Hansestadt kommend – haben sich der klassischen Variante verschrieben.

Doch auch bei Turbostaat gibt es Protest, meistens jedoch gut zwischen Symbolik und Metaphern versteckt. Im erst in der vergangenen Woche veröffentlichten „Die Tricks der Verlierer“ heißt es: „Mit dem Feuerwerk erhellt. Ihr Seufzen und Sehnen nach Wert. Sie träumen nicht mit dir“ – ein typischer Vers der Band. Doch Turbostaat kann auch direkt sein. „In Reih und Glied, gekämmt und gestriegelt. Die Arschgesichter pflanzen sich auch fort. Am Ende steht kursiv auf ihren Gräbern. Reichtum ist der Schlüssel zum Erfolg.“, singen sie im Lied „Die Arschgesichter“. Mit der Konsequenz: „Gib nie auf! Mein Spiegel und die Kinder schreien’s laut.“

Das aktuelle Album „Abalonia“ ist ihr düsterstes. Früher war Turbostaat rhythmisch wesentlich zackiger unterwegs, und lyrisch fühlte sich der Hörer mehr im Tageslicht als in der Dämmerung – jetzt fiebert er mit den Figuren mit und fühlt sich mitunter mit ihnen zurückgelassen.

Ein Jahr ist es nun her, dass die Flensburger das Album vorgelegt haben. „Abalonia“ – ohne dass dem Titel eine tiefere Bedeutung innewohnt. Außer vielleicht, dass sich Turbostaat auf diesem Weg eine eigene lyrische Märchenwelt, einen Zufluchtsort, erschaffen konnte – oder dem Tod einen neuen Namen geben. Wer weiß das schon.

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