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Verdammt im doppelten Spanien

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Eugenia Rico ·
Eugenia Rico · © Foto: Veranstalter

Bremen - Von Johannes BruggaierZuhause sorgen sie sich vor einem vermeintlichen Ansturm arbeitsunwilliger Rumänen und Bulgaren. Geht es dann in den Urlaub, kann das Reiseziel nicht exotisch genug ausfallen: So exzessiv wie nie zuvor suchen die Deutschen den Reiz des Fremden, vom Winterurlaub in der Karibik bis zur afrikanischen Safari.

Wie diese Angst und Lust vor dem Fremden zusammenpasst, untersucht dieser Tage die 38. Literarische Woche in Bremen. „Die Anderen“ lautet der Titel dieser Veranstaltungsreihe. Es geht um gesellschaftliche Ressentiments und individuelle Fremdheitserfahrungen. Am Montagabend ging es um Hexen.

Die spanische Schriftstellerin Eugenia Rico war eingeladen, um aus der deutschen Übersetzung ihres Buchs „Auch wenn wir Verdammte sind“ zu lesen. Wobei „lesen“ in solchen Fällen natürlich nicht wörtlich zu verstehen ist, weil der Akt des Vortrags üblicherweise einem vortragsbegabten deutschen Muttersprachler anvertraut wird. Im Wall-Saal der Bremer Stadtbibliothek liegt diese Aufgabe in den Händen eines jungen Mannes, der sich zwar erst vollmundig als „Schauspieler“ vorstellen lässt, dann aber alles daran setzt, diese hehre Berufsbezeichnung als Irrtum zu kennzeichnen.

So stolpert man mehr schlecht als recht durch den Text, müht sich, gleichförmig vorgetragene wörtliche Rede ihren jeweiligen Figuren zuzuordnen und sinnentstellende Satzakzente gedanklich auszugleichen. Kein leichtes Unterfangen, angesichts Ricos ohnehin schon komplexer Erzählstruktur mit ihren permanenten Zeitsprüngen und Perspektivwechseln.

Als Hauptfigur lässt sich die Doktorandin Ainur erahnen, die sich für ihre Dissertation in ihr Heimatdorf auf Recherche begibt. Ihr wissenschaftliches Interesse gilt einer im 17. Jahrhundert als Hexe verfolgten Heilerin namens Selene. Doch es ist mehr als ein nur akademisches Motiv, dass dieser Forschung zugrunde liegt: Einst war auch ihre eigene Großmutter der Hexerei beschuldigt worden. Ein Vorwurf, der bis in die Gegenwart hinein nachwirkt, wie sich im Gespräch mit einer alten Dorfbewohnerin zeigt: „Es heißt, deine Großmutter sei eine Hexe gewesen. Bist du auch eine Hexe?“

Und dann ist da noch die eigene schmerzhafte Erinnerung, die Vergewaltigung durch den eigenen Chef, dem Bürgermeister einer mittelgroßen Stadt in Spanien. Und der anschließende Prozess: gewonnen zwar, aber in der Öffentlichkeit als Verleumderin verunglimpft, als „Hexe“ gar.

So verschränkt Rico mit den Zeitebenen und Perspektiven auch die Verdammniserfahrungen verschiedener Generationen. Am Beispiel der Wissenschaftlerin Ainur spiegelt sie gesellschaftliche Mechanismen zur Abwälzung von Schuld. Das mutet manchmal etwas konstruiert an, vor allem was die arg klischeehaft geratene Vergewaltigungsszene betrifft. Allerdings mag dieser Eindruck auch der unzulänglichen Vortragsweise geschuldet sein.

In der anschließenden Podiumsdiskussion gelingen Rico durchaus erhellende Anmerkungen zur Aktualität der Hexenverfolgung. Insbesondere die derzeitige Krisensituation in Spanien, sagt sie, erinnere auf beunruhigende Weise an historische Wendepunkte. So sei die in ganz Europa verbreitete Hexenverfolgung zu allererst in Spanien abgeschafft worden – und zwar bereits 1614, vor exakt vier Jahrhunderten. Doch statt fortan eine Führungsstellung in der europäischen Aufklärung einzunehmen, sei Spanien seinerzeit wieder unter die Kontrolle konservativer Kräfte geraten. Die Hexenverfolgung kam zurück, so gnadenlos und nachhaltig wie in keinem anderen Land. Rico bezeichnet diese Entwicklung als geradezu beispielhaft für die wechselhafte spanische Geschichte: „Mein Heimatland gibt es in zwei Versionen. Immer, wenn das progressive Spanien einen Schritt nach vorne macht, folgt bald darauf die Gegenbewegung des reaktionären Spanien.“ Für die Gegenwart bedeute das eine weitere Investition in die Bildung. Stattdessen aber „geht man wieder den Schritt zurück und schließt Bibliotheken“.

Das für die Bildung benötigte Geld aufzutreiben, sagt Rico, möge schwierig sein. An Hexerei aber grenze diese Aufgabe ganz bestimmt nicht: „Man müsste einfach nur ein einziges Militärflugzeug weniger kaufen.“

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