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Vereinigung von Fragilität und Masse

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Susanne Kraißer: Tanz am Abgrund.
Susanne Kraißer: Tanz am Abgrund. © -

Von Anna-Lena FolkBREMEN (Eig. Ber.) · Heidi Klum entbindet ihr viertes Kind – nur sechs Wochen später und doch zwanzig Kilo leichter steht das Model bereits wieder in Unterwäsche auf dem Laufsteg. Weltweite Anerkennung ist ihr gewiss. Aber sie ist noch nicht am Ziel: Neun weitere Kilos sollen bitteschön runter.

Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, es sei der Job von Frau Klum, mit Mitte Dreißig eine Figur wie ein Teenager zu haben. Aber die Frage muss erlaubt sein, was dieses auf Schlanksein abzielende Ideal einer Gesellschaft für Auswirkungen auf den Einzelnen hat.

Die Künstlerin Susanne Kraißer spürt in ihrer Arbeit diesem Körperkult nach. Mit Bronze und Aluminium schafft sie intime Miniaturen sowie Großformate. Dabei verbindet sie scheinbar gegensätzliche Begriffe wie Fragilität und Masse, Scheu und Selbstbewusstsein in ihrem Werk.

Schonungslos zeigt sie in der Serie „o.E.“ – ohne Essen – Bronzeplastiken der Körper magersüchtiger Frauen. Ausgemergelt, ausgezehrt wirken sie. Die Füße sind im Verhältnis zum restlichen Körper übermäßig groß. Die Verletzlichkeit der Figuren wird sichtbar: Nackt stehen sie dem Betrachter gegenüber. Die Oberfläche der Bronzefiguren ist nicht glatt, sondern grob modelliert. So bricht Kraißer die Harmonie der Körper. Gleichzeitig stehen die Frauen stolz da, sie verstecken sich nicht. Haltung und Spannung der Körper verleihen ihnen trotz aller Gebrochenheit Kraft.

Die Serie „Tanz am Abgrund“ besteht aus sieben Frauenkörpern, circa 20 cm hoch, die nebeneinander jeweils auf einer Betonstehle fußen. Kraißer verleiht den kleinen Körpern eine bestechende Ausdrucksstärke: Auch hier sind es Haltung und Körperspannung ihrer Werke, die bis in die Fingerspitzen ungeheure Energie ausstrahlen. Die Oberfläche der Körper ist wie in der „o.E.“-Serie brüchig. Deutlich zu beobachten ist, welche Intimität Kraißer damit erreicht: Die Figuren haben keine Gesichter, und doch offenbaren sie dem Betrachter ihr Wesen.

Die vielleicht intimste Arbeit der Ausstellung ist die „Sitzende“. Angezogene Beine, den Kopf auf die Knie gesenkt. Trotz allen Insichgekehrtseins umgibt die Darstellung große Anmut. Kraißer erzielt diese Wirkung durch die grazile Haltung der Plastik: gerader Rücken, gerade Beine, gestreckte Füße – die „Sitzende“ vereint in herausragender Weise die vermeintlichen Widersprüche Fragilität und Masse.

„Fragilität und Masse“. Galerie Gavriel, Fedelhören 99, 28203 Bremen, noch bis 3. Dezember 2009.

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