Vernunft 0 Gefühl 0
Bremen - Von Tim Schomacker(Eig. Ber.) · In seinen lichten Momente kann das Theater federleicht sein. Wie ein Pinselstrich im Comicheft Räume und Zeiten überwinden, die Schwerkraft aufheben.
Das gelingt immer dann, wenn man als Zuschauer nicht etwa vergisst, dass da vorne auf der Bühne gespielt wird, sondern wenn man es im Gegenteil weiß – und es einen trotzdem berührt. Wenn der britische Regisseur Lee Beagley sich gleich zwei der Shakespeareschen Römertragödien vornimmt, sie mehr logisch in einander aufgehen als auf einander folgen lässt, gelingen solche Momente. Auf Tafeln am Bühnenrand werden beschriftete Stoffquadrate umgeblättert. So simpel wechselt die Szene von Rom, zum Schlachtfeld, von dort nach Alexandria und zurück. Hier auch werden – mal schriftlich, dann mit Text zu kurzen Spielszenen – Vor- und Nachgeschichte gebündelt. „Julius Caesar“ und „Antonius und Cleopatra“ werden, in mehrfacher Hinsicht, zum Schauspielerstück.
Nicht minder luftig ist das Vorhangsrund, dessen – im julianischen ersten Teil rote, in der zweiten, der Kleopatrahälfte weiße – leichte Stoffbahnen Herrschaftsräume und böse Träume rasch auf einander folgen lassen. Die Geschwindigkeit der Wechsel lässt einen Sog entstehen, macht die römische Geschichte zu einem Kontinuum aus Begierde, Kalkül, Geopolitik. Und lässt den Figuren wenig Zeit, sich ihre Handlungen zu überlegen. Was wer tut – sei es die Frage nach dem Sturz des Tyrannen oder die Heiratspolitik –, es ist als habe Beagley die Wirklichkeit von Peoplemagazinen, Internetblogs, Meinungsforschung und bürgerlichem Pressewesen in die römische Antike gebeamt. Als alte Damen unter der Trockenhaube blättern die Geister von Caesar, Brutus und Cassius in der „Gala“. Gelegentlich heben sie eine Zeitungsfrontseite hoch, auf der sich über den Worten „Pompeius spricht!“ eine fotogroße Öffnung zeigt, durch die besagter Staatsmann etwas verlautbart. Und Kleopatras erste Hofdame diktiert auf einer Pressekonferenz Orgiastisches in den Journalistenblock – den sie am Schluss an sich nimmt und gegen die vorbereitete Erklärung eintauscht. Alles in allem erscheint Rom wie eine Urform der Mediokratie, in der die Haupt- und Staatsaktionen vor allem in einer Währung gemessen werden: dem Nachruhm. In dem Moment, da Caesar (mit sichtlichem Vergnügen als dessen Geist zu Werke gehend: Erik Roßbander) zu seinem eigenen Standbild mutiert, muss er weg. Doch Tim Lees verhuschter Brutus verheddert sich (von ein paar Texthängern abgesehen) im Gezwirn ethischer Politik und muss alsbald ebenfalls weichen. Petra Janina Schultz’ Kleopatra schließlich räkelt sich so sehr auf ihrem alexandrinische Podest, dass auch sie von jenem Image nicht mehr zu trennen ist, das Caesar wie Antonius in ihre Arme trieb. Den Tod finden die Figuren überall, zu verhindern gilt es das, was Müller seinem Hamletdarsteller in den Mund legt: „Kein Platz für Dich in meinem Trauerspiel“. Leicht und verspielt verrät Beagley Lesart einen skeptischen Blick auf die Aufklärung. Indem er das Ensemble – als Schauspieler inner- und außerhalb des Stücks – die Vernunft wie das Gefühl korrodieren lässt: beides Machtinstrumente, die von den Wogen des historischen Katastrophenkontinuums nur noch gespielt werden können.
Beagley, der nach der Komödie „Viel Lärm um nichts“ zum zweiten Mal in diesem Jahr am Leibnizplatz inszeniert, kann augenscheinlich eine Menge anfangen mit den Bremer Shakespeare-Traditionen. Viel anfangen mit den deutschen Übersetzungen, die (hier in Rainer Iwersens und Chris Alexanders gelegentliche Müller-Härte mit beherzt-aktuellem Sprechen balancierender Variante) ein guter Weg sind aus der englischen Kanonstarre. Was dem Companyensemble sichtlich gut tut. Grundiert von einer plausibel aktuellen (nicht besinnungslos aktualisierenden) Lesart, entsteht ein schneller narrativer Beat, entstehen schöne Bilder. Der Kreisvorhang wird immer wieder zu albtraumnassen Laken, durch die die eine oder andere böse Ahnung den Figuren eingeflüstert wird. Mit Blechtonnen besorgen die sechs Akteure einen Teil des Soundtracks selbst – von zaghaften Regentropfen bis zum Donnergrollen. Als blutrote Schattenspiele werden Schlachten geschlagen und Morde begangen – mortale Wunden nachträglich aus dem Farbeimer auf die Tunika gepinselt.
Gleich mehrfach offenbart sich das Personal als Schauspielertrupp, prophezeit, dass „unsere erhabene Szene noch in Jahrhunderten aufgeführt werden wird – in Ländern, die noch nicht gegründet und in Sprachen, die noch nicht erfunden sind“. Hier schließt sich die zentrale Nachruhmgier mit der Theatergeschichte kurz. Cassius und Brutus verständigen sich darüber, dass der Tyrannenmord wie auf dem römischen Theater auszuführen sei: unangestrengt, direkt und formvollendet. Das hat sich Beagley wohl auch gesagt. Und sich für kurzweilige drei Stunden Spieldauer daran gehalten. So kurzweilig, dass man sich am Ende wundert, dass man – überraschend ähnlich der Shakespearesicht Heiner Müllers – einem torlosen Remis von Gefühl und Vernunft beigewohnt hat.
„Julius Caesar Cleopatra Antonius“ ist am 23. 10. und 1., 13. und 27. 11. sowie 5. und 19. 12.jeweils um 19.30 in der Bremer Shakespeare Company zu sehen.