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Wieder auf die Spitze

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Nähern sich dem Spitzentanz in Echtzeit an: Magali Sander Fett beim „Pas de deux“ mit Miroslav Zydowicz. Foto: Till Botterweck
Nähern sich dem Spitzentanz in Echtzeit an: Magali Sander Fett beim „Pas de deux“ mit Miroslav Zydowicz. © Till Botterweck

Bremen - Von Rolf Stein. Es ist ein ungewohntes Bild. Zwei Tänzer, ein Mann, eine Frau, setzen zu Ballettfiguren an. Informell, in Trainingszeug. Der Mann, Miroslav Zydowicz, summt leise eine Musik, in deren Rhythmus sich die beiden in Bewegung setzen. Was wirkt, wie eine ganz normale Probe, ist in „Dialog der Körper“ zu sehen, dem neuen Stück des Tanzkollektivs Bremen.

Dass dem Publikum diese Probensituation gezeigt wird, hat natürlich nicht damit zu tun, dass die beiden Tänzer nicht fertig geworden wären. In „Pas de deux“, so heißt der erste Teil des Abends, untersuchen Zydowicz und Sander Fett den dramaturgischen Höhepunkt des klassischen Balletts.

Für die Tänzer ist diese Form zwar ideengeschichtlich und biografisch durchaus selbstverständlicher Teil von Tanztheater. In Bremen hat man damit als Tänzer allerdings herzlich wenig zu tun. Zydowicz und Sander Fett begegnen dem Pas de deux, musikalisch begleitet übrigens von dem Komponisten Ricardo Castagnola, sozusagen wie einem alten Bekannten. Durchaus vorsichtig auch, gerade weil die selbst in der Zwischenzeit so viel erlebt haben. Damit gesellt sich ein weiterer Aspekt hinzu: Die vergangene Zeit, die für Tänzer schneller vergehen mag als für andere Menschen. Denn der Körper mag auf seine Weise Wissen speichern. Seine Leistungsfähigkeit verändert sich allerdings auch, nimmt tendenziell ab.

Magali Sander Fett bebildert das mit einem Beispiel: „Ich habe seit 20 Jahren keine Spitzenschuhe getragen“, sagt sie. In „Pas de deux“ werden wir nun Zeuge, wie die Tänzerin sich dem Spitzentanz wieder annähert. Beinahe in Echtzeit. Das Risiko des Scheiterns tragen Zydowicz und Sander Fett auf die Bühne. Für Tomas Bünger, der den Abend dramaturgisch begleitet und die beiden Choreografien des Abends mit einer kleinen Lecture Performance verbindet, bietet dieser Zugang, der das Vorläufige einschließt und sich von dem Streben nach totaler Kontrolle lossagt, die Möglichkeit, eine Form neu zu sehen und damit erst wieder als solche wahrzunehmen.

Kontrollverlust ist ein Thema sowohl in Büngers verbindender Performance, in der er mit einem Text der ägyptischstämmigen Theatermacherin Nora Amin fragt, wie der öffentliche Blick auf den Körper auf selbigen zurückwirkt, als auch in „One“ von Miroslaw Zydowicz.

Der Tänzer choreografiert sich hierin selbst zu einer Einspielung Shakespeare-Sonetten in Rezitationen des polnischen Schauspielers Wojciech Królikiewicz. Królikiewicz leidet an Chorea Huntington, einer Erbkrankheit, die dem Menschen nach und nach die Macht über seinen Körper entzieht. Der Körper, der dem Tänzer das wesentliche Ausdrucksmittel ist, gerät somit an diesem Abend mehrfach unter Druck. Das ist auch ein politisches Statement. Selbst wenn sich Choreografen zuletzt häufiger mit Leistungsgedanken und Jugendwahn im Tanz und insbesondere im Ballett befassen, gehören Vorstellungen von Körperbeherrschung und handwerklicher Perfektion zu selten hinterfragten Idealen.

Wie schon in „And now with music“ vor etwas mehr als zwei Jahren blickt das Tanzkollektiv damit aus einem überraschenden Winkel auf die eigene Kunstform und gewinnt aus dieser Reflexion einen Tanzabend, der nicht nur für Tanz-Insider aufschlussreich ist.

Termine:

Freitag bis Sonntag, jeweils ab 19 Uhr, am Samstag gibt es ein Publikumsgespräch im Anschluss an die Vorstellung, Schwankhalle, Bremen.

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