1. Startseite
  2. Kultur

Staatsschauspiel Hannover spielt Kling

KommentareDrucken

Dennis Pörtner in „Qualityland“ - Foto: Isabel Machado Rios
Dennis Pörtner in „Qualityland“ © Isabel Machado Rios

Hannover - Von Jörg Worat. Wäre es nicht eine feine Sache, wenn Rechner unser Leben gestalten würden? Rechner, die unser Persönlichkeitsprofil so gut kennen, dass sie alles für uns aussuchen – Partner, Restaurants und auch Waren, von deren elementarer Wichtigkeit wir womöglich bislang noch gar nichts wussten? Autor Marc-Uwe Kling beschreibt diese genau genommen gar nicht völlig utopische Zukunftsvision in seinem Roman „Qualityland“. Das Staatsschauspiel Hannover brachte jetzt die Theaterfassung im Ballhof für Menschen ab 15 Jahren zur Uraufführung. Regisseur Malte C. Lachmann hat mit den „Känguru-Chroniken“ desselben Autors in Hannover einigen Erfolg gehabt. Ob der sich mit dem neuen Projekt wiederholt, darf allerdings bezweifelt werden. In der Premiere steckte zumindest streckenweise kräftig der Wurm.

Dabei lässt sich alles recht nett an. Dennis Pörtner gibt charmant die Hauptfigur, den Maschinenverschrotter Peter, der zwar subversive Anflüge hat – er bringt es nicht übers Herz, die Drohne mit Flugangst oder den Literaturroboter mit Schreibblockade zu vernichten, wie es eigentlich seine Aufgabe wäre –, aber keineswegs der klassische Revoluzzer ist. Bis er eines Tages einen Delfin-Vibrator zugesandt bekommt, den er nun wirklich nicht braucht, sei es bewusst oder unbewusst. Das Ding zurückzugeben erweist sich allerdings als unmöglich, weil das System keinen Fehler einräumen kann. So wird aus dem unerwünschten Sexspielzeug immer mehr ein Politikum.

Eine ziemlich durchgeknallte Story also, die im ersten Teil überwiegend durchaus flott daherkommt. Ohne Angst vor Trash wirft sich das Ensemble, in dem alle außer Pörtner Mehrfachrollen haben, ins Getümmel, und einmal mehr erweist sich, dass eine dämliche Sache richtig gut werden kann, wenn man sie noch dämlicher macht: Als Peter beim Versuch, seine Beschwerde über die verfehlte Warensendung loszuwerden, in einer Telefon-Warteschleife landet, singen die Akteure voller Inbrunst, endlos lang und gerne auch mal falsch Lieder wie „Über sieben Brücken musst du gehn“ oder „Love Me Tender“. Eine amüsante Finte ist es auch, wenn der Android, der sich um die Übernahme der Präsidentschaft in Qualityland bewirbt, wesentlich charismatischer wirkt als der tumbe menschliche Amtsinhaber.

So weit so gut. Nach der Pause aber wächst unaufhaltsam der Eindruck, Regie und Dramaturgie seien irgendwann zwar nicht von allen, aber von den meisten guten Geistern verlassen gewesen. Plötzlich stimmen die Spannungsbögen nicht mehr, Situationskomik wird durch Spielastik ersetzt, statt skurriler Typen gibt es auf skurril getrimmte. Und am schlimmsten: Man verliert das Interesse an den Figuren und der Geschichte, was besonders schade ist, weil Autor Kling die spannende Idee hatte, zwei Versionen seines Romans zu schreiben, eine „helle“ und eine „dunkle“.

Dass die angekündigte Spieldauer weit überschritten wird und schließlich die Drei-Stunden-Grenze knackt, macht die Sache nicht besser – der Schlussapplaus ist für hannoversche Premierenverhältnisse dürftig. Vielleicht war ja schlichtweg die Probenzeit zu kurz, und dann wäre das Kind noch nicht endgültig in den Brunnen gefallen: Nachbesserungen sind jedenfalls keineswegs etwas Ehrenrühriges.

Auch interessant

Kommentare