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Helene Fischer in Bremen: Zuckerwatte für gequälte Seelen

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Unterhaltung rundum: Helene von hinten. - Foto: Florian Kater
Unterhaltung rundum: Helene von hinten. © Florian Kater

Bremen - Von Mareike Bannasch. Akrobaten, die an langen Seilen von der Decke hängen, Tänzer, die im Überschlag über die Bühne fliegen, während riesige Rauchfontänen die Sicht nehmen. Und mittendrin: die Königin.

Im blauen Glitzer-Dress mit Stacheln an den Schultern schwebt sie pünktlich zur Prime Time ein, zur Audienz im Zeichen von Liebe und Glückseligkeit. Dass etliche ihrer Untertanen es da noch nicht durch die Einlasskontrollen geschafft haben? Blöd. Aber, eine Königin wartet nicht, auf niemanden. 

69 Konzerte wird Helene Fischer am Ende ihrer aktuellen Tour absolviert haben, am Sonnabend und Sonntag stand die Bremer ÖVB-Arena auf dem Programm. Dort bietet die ungekrönte Schlagerkönigin ihren Fans einen Auftritt, der weit mehr ist als ein schnödes Konzert. Kein Wunder: Hat sie die Tour doch gemeinsam mit dem kanadischen Unternehmen „45 Degrees“ konzipiert, einem Ableger des Cirque du Soleil. Das verspricht Akrobatik vom Feinsten, und die gibt es auch. Kaum ein Song, ohne dass irgendwo ein muskelbepackter Turner an einem Seil klettert. Das sieht nicht nur gut aus und lenkt all jene ab, die mit der Musik nichts anfangen können, es beschäftigt die Zuschauer auch, wenn mal wieder ein Kostümwechsel ansteht – von denen es so einige gibt. 

Natürlich immer schön knapp und tief ausgeschnitten

Jeder thematische Schwerpunkt wird mit dem passenden Outfit versorgt, natürlich immer schön knapp und tief ausgeschnitten. Die männlichen Zuschauer wollen schließlich etwas geboten bekommen. Dabei fehlt auch das mittlerweile legendäre Kleid mit dem Wasserrock nicht, das aus der Sängerin einen lebenden Springbrunnen macht.

Helene Fischer überlässt die akrobatischen Einlagen aber nicht nur ihrer fabelhaften Tänzer- und Turnertruppe. Nein, sie selbst wird abgeseilt, gehoben und durch die Gegend geworfen – während sie, begleitet von sechs überraschend guten Musikern und drei Sängern, Songs von ihrem aktuellen Album „Helene Fischer“ und ihre größten Hits singt. 

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Dass Fischer dabei nicht außer Atem gerät, versteht sich von selbst. Immerhin hat sie vor 15 Jahren eine Ausbildung an der Stage & Musical School in Frankfurt absolviert. Und dabei offenbar verinnerlicht, dass es im Leben vor allem auf die Performance ankommt. Eine Performance, die in der ÖVB-Arena bis ins Kleinste durchchoreografiert ist. Von der ohne Pause arbeitenden Windmaschine, die die Haare der Sängerin immer wieder vorteilhaft aus dem Gesicht pustet, über Kleider, die gerade so lang sind, dass ihr niemand unter den Rock gucken kann, bis hin zu einer gesanglichen Leistung der Oberliga: Während „Herzbeben“, „Schmetterling“ und „Achterbahn“ (in einer sehr temporeichen Techno-Version) durch die Halle dröhnen, weht eine Aura aus Perfektionismus und Entertainment über die Köpfe hinweg.

Königin mit dem Flair des netten Mädchens

Viele Künstler wirken in so einem Moment unnahbar, aber nicht Helene Fischer. Die Königin mit dem Flair des netten Mädchens von nebenan weiß, was die Zuschauer von ihr erwarten. Immer wieder sucht sie das Gespräch mit der Menge, schafft es mithilfe eines hydraulischen Laufstegs auch zu den hinteren Reihen der Halle und philosophiert auf dem Rang mit einem älteren Herrn namens Udo darüber, ob dessen Frau nicht lieber das Werder-Spiel für Fischers Auftritt hätte sausen lassen sollen. Wie es sich für eine Frau vom Schlag Helene Fischers gehört, geht es in diesen Gesprächen natürlich vor allem um die Liebe. Die Liebe zu ihren Eltern, zu Kindern, ihren Fans, ihrer Crew und Menschen im Allgemeinen. Die bitte auch recht nett zueinander sein sollen. Bei zunehmender Radikalisierung und immer mehr Deutschen, die sich vom Wohlstand ausgeschlossen fühlen, sind die ganz großen Gefühle ihr Allheilmittel.

Fabelhaftes Entertainment

In unsicheren Zeiten wie diesen ist das wenig, zu wenig. Nicht mal das obligatorische Trump-Bashing gibt es bei Fischer, stattdessen nur Freude darüber, dass sich in der Arena so viele Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechts zusammengefunden haben. So schön dieser Umstand sein mag, er taugt nicht für echte Probleme. Aber vielleicht ist genau das der Schlüssel zum Erfolg der 33-Jährigen: dass sie sich gar nicht zur Jean d’Arc stilisieren will. Stattdessen schafft sie es, die Sehnsüchte einer Gesellschaft zwischen Groko und Neuwahlen, zwischen Fremdenhass und Willkommenskultur nach einer mitfühlenden Seele zu bedienen. Nach jemandem, der weiß wie es ist, wenn man sich jeden Tag zur Arbeit schleppt. Wie es ist, wenn der Partner fürs Leben dann doch nicht fürs Leben ist. Oder wie es sich anfühlt, wenn die große Liebe endlich um die Ecke kommt. 

Ganz einfach jemand, der unsere Probleme versteht und die Heilung gleich mitliefert – in Form von in Texten geformter Zuckerwatte, die, wenn auch leicht klebrig, kurzzeitige Ablenkung verspricht. Das kann man durchaus kritisieren und muss es wohl auch. Gleichwohl kommt man nicht umhin, Helene Fischers Leistung als das anzuerkennen, was sie ist: fabelhaftes Entertainment.

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