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Daimler-Entwicklungschef: „Die Faszination Auto bleibt“

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Professor Dr. Thomas Weber, Mitglied des Vorstands der Daimler AG, verantwortlich für Konzernforschung und Entwicklung Mercedes-Benz Cars, bei der Weltpremiere der neuen E-Klasse Limousine auf dem Mercedes-Benz Neujahrsempfang 2016 in Detroit.
Professor Dr. Thomas Weber (61): „Beeindruckend, was der Wagen schon alles kann.“ Auf der Motorshow in Detroit präsentierte Mercedes die E-Klasse, ein großer Schritt hin zum autonomen Fahren. © dpa

Autonomes Fahren, Vernetzung, Digitalisierung – Schlagworte, welche die Automobilbranche derzeit bestimmen. Ein Interview mit Daimler-Entwicklungschef Thomas Weber zur mobilen Zukunft.

Wir sprachen – zwischen der wegweisenden Elektronikmesse CES in Las Vegas und der ersten Automesse des Jahres NAIAS in Detroit – mit dem Daimler-Entwicklungsvorstand, Prof. Dr. Thomas Weber, über den aktuellen Stand der Technik, Trends, die Mobilität von Morgen und über die Möglichkeiten der neuen Mercedes E-Klasse.

Entwickelt sich unser gutes altes Auto in ein Smartphone auf vier Rädern?

Prof. Dr. Thomas Weber: Wenn man auf der Consumer Electronics CES in Las Vegas unterwegs war, die früher ein reiner Insider-Treff der Spieleindustrie war, konnte man fast diesen Eindruck gewinnen. Das stimmt aber nur zum Teil. Denn das Auto lebt auch weiter vom Fahrerlebnis: Wenn man dynamisch unterwegs ist, achtet man schon darauf, wie gut sich das Auto lenkt, ob es richtig bremst, also wie das Fahrverhalten ist. Das alles bleibt relevant. Alle, die schnell mal probieren, ein Auto zu bauen, scheitern in der Regel ganz schnell an allen möglichen Dingen. Bis hin zur Dauerhaltbarkeit. 

Aber das Auto der Zukunft wird natürlich immer digitaler und durch die entsprechenden Technologien massiv beeinflusst. Am deutlichsten sieht man das jetzt schon am Fahrzeuginneren, das durch digitale Medien vielfältiger geworden ist. Und dann müssen wir unsere Kunden im Auge haben, die künftig gar nicht mehr auf die Idee kommen, in ein Autohaus zu gehen. Die sitzen auf der Couch und kontaktieren uns über digitale Kanäle. Deshalb haben wir unser Kundenportal „Mercedes me“ heute schon online.

Früher waren Führerschein und das Auto die erste große Freiheit der Jugend. Das hat sich aber massiv verändert …

Weber: Ich glaube, dass sich nur der Zeitpunkt verschoben hat. Das Auto selbst hat seine Faszination nicht verloren. Es ist nur nicht mehr so wie in unserer Generation, als die eigentliche Freiheit erst anfing, wenn man ein Auto hatte. 

Heute reist die junge Generation in ferne Länder, studiert in Großstädten wie Berlin oder Hongkong, wo man das Auto vielleicht gar nicht braucht. Und wenn darüber hinaus die finanziellen Mittel begrenzt sind, dann stecken junge Menschen heutzutage nicht mehr ihr ganzes Geld in den Führerschein. Aber sie kommen alle zurück, spätestens dann, wenn sie eine Familie gründen und ihre Kinder in den Hort oder in die Schule fahren. Ja, es gibt Metropolregionen, zum Beispiel Tokio, wo man vielleicht dauerhaft in der Innenstadt kein Auto braucht. Aber ich sehe grundsätzlich nicht so schwarz. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass wir das Auto attraktiv halten und permanent mit den Möglichkeiten der digitalen Welt weiterentwickeln. Dann bleiben wir sicherlich auch für die sogenannte Generation Y interessant.

Braucht man überhaupt noch so viel Mobilität, wie wir sie jetzt haben? Messen, Pressekonferenzen – das könnte man doch alles digital und virtuell erledigen. Viele Menschen arbeiten ja jetzt schon von zu Hause aus, und es sollen mehr werden.

Weber: Da sind wir jetzt schon auf einer sehr philosophischen Ebene. Ich glaube, die Mobilität ist der Grundantrieb, der vieles erst in Gang bringt. Ohne Mobilität gibt es keinen Handel, keine Geschäfte, und selbst bei aller Gläubigkeit an moderne Medien und Videokonferenzen wird man um Meetings von Angesicht zu Angesicht nicht herumkommen, um sich erst einmal richtig kennenzulernen. Zusätzlich tut es sicher die eine oder andere Videokonferenz. 

Ich glaube aber, dass das Mobilitätsbedürfnis eher gestiegen ist. Während früher die Menschen zufrieden waren, wenn sie nach einer Woche anstrengender körperlicher Arbeit zu Hause ausspannen konnten, ist es doch heute so, dass alle, ob nach Schule oder Arbeit, gleich was unternehmen wollen. Das ist mit Mobilität verbunden. 

Für diese Bedürfnisse brauchen wir die richtigen Konzepte. Und da ist das Auto – natürlich in einer modern interpretierten Form – nicht wegzudenken. Selbst die kritischen Zeitgeister, die das Auto immer verdammt haben, selbst die führen keine Diskussion mehr darüber, dass alles – z.B. im ländlichen Raum – nur mit öffentlichem Nahverkehr funktioniert. Wir als Autohersteller haben auch nie gesagt, dass wir gegen Zug, U-Bahn oder Tram sind – der öffentliche Nahverkehr hat seine Bedeutung und muss dringend ausgebaut werden, um die Verkehrsströme zu entlasten. Die Erschließung der Fläche geht aber nur über flexible Konzepte, und dazu gehört heute und auch in der Zukunft das Auto. Da sind wir sehr überzeugt davon.

Ein wichtiger Baustein ist dabei das autonome Fahren. Wie ist da der Stand der Technik?

Weber: Den nächsten großen Schritt macht die neue E-Klasse, die im Frühjahr in den Markt geht. Es ist beeindruckend, was dieses Auto schon jetzt kann. Es lenkt selbstständig, natürlich noch keine ganze Stunde lang, das dürfen wir auch nicht aus regulatorischen Gründen, aber deutlich länger als bislang, also bis zu einer Minute bei optimalen Bedingungen. 

Die neue E-Klasse kann auf der Autobahn teilautonom die Spur wechseln, überholen und nachher wieder auf Wunsch des Fahrers einscheren. Zudem erkennt sie Verkehrszeichen, Geschwindigkeitslimits und passt die Geschwindigkeit des Autos automatisch an. Sie als Fahrer werden also nicht mehr geblitzt, wenn sie diese Funktion aktiviert haben. Das Auto erkennt und stoppt für Fußgänger, Radfahrer und nimmt komplexe Situationen wahr. Die E-Klasse muss sich nicht mehr ausschließlich an den Spuren, also an den Linien auf der Straße, orientieren, sondern sie wertet die Karten- und jetzt auch Schwarm-Informationen aus. Schwarm bedeutet: Alle fahren auf der Autobahn geradeaus, da kann gar keine Kurve sein, dann erkennt das Auto diese Situation auch ohne Fahrspuren und fährt im Pulk mit.

Welche Voraussetzungen fehlen noch zum vollautonomen Fahren?

Weber: Neben den notwendigen rechtlichen Grundlagen brauchen wir natürlich die soziale Akzeptanz. Da ist in der Gesellschaft und auch in der Politik im Augenblick eine große Offenheit zu spüren. Mit dem Kauf des Online-Kartendienstes HERE haben wir, zusammen mit BMW und Audi, zusätzlich eine wichtige Grundlage geschaffen. 

Und dann gibt es das große Thema künstliche Intelligenz. Die Maschine, die selbstständig lernt. Dazu braucht es aber hochleistungsfähige Rechnereinheiten, die auf kleinstem Raum Millionen von Daten in Echtzeit auswerten, die die Sensorik im Auto liefert. Hochleistungsfähige Rechner, die diese komplexe Datenwelt erfassen, begreifen und dann die entsprechenden Reaktionen ausführen, das ist das große Feld, in das wir gerade massiv investieren.

Interview: Rudolf Bögel

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