Beim Lesen oder Schreiben ist die Ablenkung noch viel größer als beim Telefonieren. Wer beim Tempo von 50 Kilometern pro Stunde zwei Sekunden auf ein Display sieht, fährt in der Zeit knapp 30 Meter weit. Auf der Landstraße bei 100 Stundenkilometern sind es knapp 60 Meter ohne direkte Sicht auf die Straße.
Springt dann plötzlich ein Kind oder Tier auf die Straße oder bremst das vorfahrende Auto, kann das böse enden. Ein Verkehrspolizist berichtet von schlimmen Funden der Kollegen: „Bei tödlichen Unfällen gab es schon grauenvolle Umstände, wo jemand noch ein Handy in der Hand hatte mit halb eingegebener Pin.“
In einer Studie der Allianz-Versicherung von 2011 gaben 30 Prozent der Befragten zu, sie würden ab und zu beim Fahren Nachrichten lesen. 20 Prozent sagten, sie würden auch schreiben. Bei den 18- bis 24-Jährigen lagen die Zahlen noch höher.
Der deutsche Regisseur Werner Herzog drehte in den USA den Dokumentarfilm „Von einer Sekunde auf die andere“, der von vier Verkehrsunfällen nach Ablenkung durch Telefone erzählt. Herzog schildert die Tragödien anhand von Gesprächen mit Unfallopfern und -verursachern.
In Deutschland sorgte kürzlich die Kölner Polizei für Aufsehen, weil sie nach Unfällen verstärkt Smartphones beschlagnahmen wollte. Die Daten sollten zeigen, ob Fahrer zur Unfallzeit ihr Handy nutzten. Die Zahl der Unfälle mit ungeklärter Unfallursache habe zwischen 2008 und 2013 um 56 Prozent zugenommen, vermutlich gebe es einen Zusammenhang zur steigenden Zahl von Smartphone-Nutzern, zitierten Zeitungen die Kölner Verkehrspolizei.
Inzwischen schweigt die Kölner Polizei zu dem Thema. Zuständig ist nun das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen (NRW). Einen Maulkorb für die Polizei gebe es nicht, sagt dessen Sprecher Jörg Rademacher. Allerdings sei das Thema etwas hochgespielt worden, sagt er - und räumt dann ein, es gebe kaum konkrete Zahlen, aber ein „großes Dunkelfeld“. Leider seien die Telefone so in den Alltag vorgedrungen, dass es den Menschen schwer falle, länger auf sie zu verzichten. Rund 131.000 Verstöße gegen das Handyverbot am Steuer registrierte die Polizei im vergangenen Jahr in NRW.
Die Problematik dürfte in den kommenden Jahren noch zunehmen. Wenn die meisten Autos über Internet und Fernsehen verfügten, wachse die Gefahr der Ablenkung weiter, sagt ein Verkehrsexperte der Allianz. Nur gut, meint er, dass gleichzeitig auch automatische Sicherheitssysteme entwickelt würden. Die Zukunftsvision könnte also so aussehen: Während der Fahrer seinen Blick auf ein Display richtet, verhindert das automatische Abstandssystem mit einer Vollbremsung den Crash am Ende der Stauschlange.
dpa