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Mehr als Hautkontakt: Die Kraft der Berührung

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Dieses Ereignis schrieb Medizingeschichte: Zwei Mädchen, Zwillinge, kommen als Frühchen auf die Welt. Eines ist schwer angeschlagen – und wird durch die Umarmung seiner Schwester geheilt. Ein Wunder?

Kyrie Jackson ist eine Heldin. Nur: Sie erinnert sich nicht an ihre Heldentat. Wie auch? Kyrie war damals erst wenige Wochen alt. Doch es gibt ein Foto, das beweist, wie sie ihre Zwillingsschwester Brielle heilt: Sie schmiegt sich an sie, legt den linken Arm um ihre Schulter. Zwei winzige Menschen in einem Brutkasten – zwei Frühchen, die zwölf Wochen zu früh auf die Welt gekommen sind. Kurz nach dem Kuscheln normalisiert sich Brielles Puls, ihr kleiner Körper entspannt sich, sie atmet jetzt ruhiger, nimmt nach und nach zu – und wird am Ende ganz gesund.

Wenn diese Geschichte nicht wahr wäre, man müsste sie fast erfinden: eine Umarmung, die heilende Wirkung hat – menschliche Wärme als beste Medizin. Kann es sowas wirklich geben?

Nun, Kyrie und Brielle Jackson, geboren am 17. Oktober 1995 im US-amerikanischen Worcester, sind der lebende Beweis. Vor rund drei Monaten feierten die Zwillingsschwestern ihren 20. Geburtstag. Sie sind inzwischen sehr berühmt: Das Foto von der Umarmung wird bis heute immer wieder gedruckt – und die Geschichte dahinter immer wieder erzählt. Denn längst weiß man: Eine Berührung zur rechten Zeit macht nicht nur glücklich, sie kann eben auch gesund machen.

„Berührung ist die erste Sprache, die wir sprechen, ein Grundbedürfnis“, sagt auch Werner Bartens, Arzt und Wissenschaftsjournalist. In seinem Buch „Wie Berührung hilft“ (Knaur-Verlag; 12,99 Euro) erklärt er unter anderem: „Es ist wissenschaftlich belegt, dass Berührungen unser Immunsystem stärken – und sogar Schmerz lindern können.“

Menschen reagierten schon ganz früh auf Berührungen. So stemmten sich etwa Embryonen im Mutterleib mit dem Rücken gegen die Gebärmutter, um etwas zu spüren. „Babys und Kleinkinder sterben, wenn sie nicht genügend Zuwendung bekommen“. Und: Am Ende unseres Lebens reagierten wir oft nur noch auf Berührungen, das lasse sich anhand von Gehirnströmen messen. „Im ersten Augenblick mag es banal klingen“, sagt Bartens. „Aber: Wärme zeigt Wirkung.“

Bei Kyrie und Brielle war das zweifellos der Fall. Nach der Geburt war der Zustand beider Mädchen kritisch. „Die Krankenschwestern waren sehr ehrlich zu uns“, erzählt ihr Vater Paul Jackson in einem TV-Interview mit dem Sender „RTL“. „Sie sagten uns, dass die Dinge soweit ok sind – aber wir müssten mit allem rechnen. Denn in den nächsten 48 bis 72 Stunden könne sich alles komplett ändern.“ Und das tat es auch. Vor allem bei seiner Tochter Brielle.

Die Zwillinge waren unterentwickelt, sie lagen in unterschiedlichen Brutkästen – wegen möglicher Infektionsgefahr. Während sich Kyries Zustand nach und nach stabilisierte, ging es ihrer Schwester Brielle zunehmend schlechter: Sie schrie viel, bekam öfter keine Luft, lief sogar manchmal blau an. Die Medikamente schlugen nicht an – die Ärzte wurden zunehmend skeptischer. Doch dann hatte eine Krankenschwester die rettende Idee: Sie legte Kyrie zu Brielle. Der Rest ist Geschichte, zumal ein Fotograf der Lokalzeitung Kyries Umarmung für die Ewigkeit festhielt. Ein zufälliger Schnappschuss, der Mann hatte sich nicht mal die Erlaubnis der Eltern geholt.

Wunderkraft in Berührungen

Seither ist viel Zeit vergangen. Am 21. Januar wird zum 30. Mal der jährliche Tag der Umarmung gefeiert – Umfragen belegen, dass sich jeder dritte Deutsche wünscht, öfter in den Arm genommen zu werden. Sieben von zehn sagen, diese Form der Nähe sei wichtig für ihr Wohlbefinden.

Die Medizin weiß längst, welche Wunderkraft in Berührungen steckt. So ist auf den meisten Krankenhaus-Stationen körperliche Nähe für Frühchen selbstverständlich. Es geht um möglichst viel Hautkontakt mit Mama und Papa – die Wirkung der „Känguru-Methode“ ist wissenschaftlich belegt.

Bei Kyries und Brielles Geburt gehörte sie aber noch nicht zum medizinischen Standardrepertoire – damals folgte die besagte Krankenschwester nur ihrem Instinkt und legte die Zwillinge einfach in einen Brutkasten.

„Als mich meine Schwester umarmt hat, hat mich das entspannt“, sagt Brielle heute. So wurde es den beiden später erzählt. Sie bekommen auch immer noch Post von „Fans“; eine Frau schrieb Brielle mal, sie habe geweint, als sie das Bild der Frühchen-Zwillinge gesehen habe.

Im August 2014 soll sogar der US-Schauspieler Ashton Kutcher die Aufnahme in seinem Blog und bei Facebook geteilt haben, berichtet die „Welt“. Ergebnis: satte 33 000 „Likes“ und fast 500 Kommentare. „Ich glaube, diese Geschichte ist deshalb nicht totzukriegen, weil sie gute Laune verbreitet“, sagt Brielle. Und Hoffnung macht.

Von Barbara Nazarewska

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