Die Reaktion bedeute nicht etwa, dass die Probanden den Inhalt der Sätze verstanden hätten. Aber ihr Gehirn scheine doch zu einer Art Sprachverarbeitung fähig zu sein, die bei anderen Wachkoma-Patienten nicht möglich sei, erklärt Steppacher. „Für diese Reaktion müssen gleich mehrere Hirnstrukturen zusammen arbeiten. Wir vermuten, dass darin auch der Schlüssel zum Wieder-Erwachen liegt: dass das Gehirn zwar im Moment etwa durch einen Verkehrsunfall oder Schlaganfall schwer geschädigt ist, dass bestimmte Bereiche aber weiterhin korrekt arbeiten.“
„Wir haben das immer schon gesagt: Schaut genau hin, wie die Patienten reagieren. Aber es muss eben erst messbar und wissenschaftlich nachweisbar sein, bevor es Beachtung findet“, lautet die spontane Reaktion von Armin Nentwig auf die neuen Erkenntnisse. Der Vorsitzende der Deutschen Wachkoma Gesellschaft „Schädel-Hirnpatienten in Not“ setzt sich seit mehr als 20 Jahren für die Verbesserung der Situation von Wachkoma-Patienten ein und begrüßt die Bielefelder Studie als einen „Schritt in die richtige Richtung“.
„Es muss aber noch viel mehr geforscht werden. Wir wissen viel zu wenig über dieses Krankheitsbild, das zunehmend an Bedeutung gewinnt“, sagt Nentwig, dessen Sohn 1988 nach einem Skiunfall ins Wachkoma fiel und sechs Monate später starb. Es sei „wichtig, dass solche Ergebnisse dazu führen, dass die aktive Reha-Phase verlängert wird“. Wachkoma-Patienten würden viel zu schnell aus den Reha-Kliniken in die Pflege „abgeschoben“.
Die Bielefelder Studie zeigt nach Ansicht von Steppacher auch, dass selbst nach mehreren Jahren eine Chance auf die Rückkehr aus dem Wachkoma gibt. „Wir haben gesehen, dass von den Patienten, die sich erholt haben, fast die Hälfte erst nach drei bis fünf Jahren aufgewacht ist.“ Die Hirnforscher setzen deshalb auf weitere Untersuchungen. So wollen sie testen, wie Wachkoma-Patienten darauf reagieren, wenn Gefühle mit ins Spiel kommen und die Nonsens-Sätze etwa von der eigenen Mutter vorgelesen werden.
Das apallische Syndrom - auch Wachkoma genannt - ist ein Krankheitsbild, das durch schwere Schädigungen des Gehirns hervorgerufen wird. Ursachen sind etwa Verkehrsunfälle, Hirnblutungen, Schlaganfälle, Infektionen des Gehirns oder Sauerstoffmangel durch eine Reanimation. Die Patienten haben zwar die Augen offen, fixieren damit aber keinen Gegenstand und reagieren auch nicht mit Sprache oder Bewegungen auf äußere Einflüsse.
Angaben zur Zahl der Betroffenen sind kaum zu bekommen: Nach Auskunft des Bundesgesundheitsministeriums führen weder das Ministerium noch das Statistische Bundesamt eine Statistik dazu. Die Deutsche Wachkoma Gesellschaft schätzt die Zahl der Wachkoma-Patienten auf derzeit 14.000, Tendenz steigend. Darunter sind auch Patienten, die später wieder erwachen oder sterben.
In jedem Jahr fielen rund 5000 Menschen in ein Wachkoma. Auch diese Zahl nehme zu. Dies führt der Bundesvorsitzende Armin Nentwig vor allem darauf zurück, dass Kranke und Verletzte in Notfällen zwar durch Wiederbelebung immer öfter vor dem Tod gerettet würden. Infolge des entstandenen Sauerstoffmangels fielen sie jedoch in ein Wachkoma.
dpa