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Wenn Frauen ihre Eizellen einfrieren lassen

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Kassetten mit eingefrorenen Eizellen lagern in einem Labor im Universitätsklinikum in Tübingen in einem Stickstoffbehälter. Die Eizell-Konservierung, auch Social Freezing genannt, ist eine Methode zur Vertagung des Kinderwunsches. © dpa

Stuttgart - Entweder der passende Partner fehlt oder der nächste Karrieresprung steht an - immer mehr Frauen in Deutschland lassen sich aus sozialen Gründen Eizellen entnehmen und einfrieren.

Sie sind meist zwischen 35 und 39 Jahre alt, haben keinen Partner oder wollen aus beruflichen Gründen gerade kein Kind haben - sich aber die Chance auf eine spätere Mutterschaft offen halten. Immer mehr Frauen in Deutschland nutzen das sogenannte „Social Freezing“ und lassen sich Eizellen entnehmen, um diese einzufrieren. „Die Zahlen steigen sprunghaft an“, sagt der Koordinator des wissenschaftlichen Netzwerkes Fertiprotekt, Michael von Wolff. Demnach griffen im Jahr 2013 in Deutschland 134 Frauen auf das Angebot zurück, während es im Jahr 2012 noch 22 gewesen waren. Von Wolff geht insgesamt von rund 300 Behandlungen im Jahr 2013 aus. Die Medizinethik beurteilt diese Entwicklung kritisch.

Kind oder Karriere?

Im Oktober sorgte die Nachricht in Deutschland für Aufruhr, dass die amerikanischen IT-Konzerne Facebook und Apple Mitarbeiterinnen bis zu 20.000 Dollar für das Einfrieren ihrer Eizellen zahlen wollen. Die Frauen sollten dadurch ihre Karrierepläne unabhängig von der biologischen Uhr verfolgen können. In Deutschland kritisierten Arbeitnehmervertreter, Unternehmen und Politiker das Angebot der Firmen. Es sei wichtiger, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern.

Ursprünglich wurde das medizinische Verfahren entwickelt, um Krebspatientinnen nach einer Chemo- oder Strahlentherapie den Kinderwunsch erfüllen zu können. Manche Frauen sind nach einer solchen Behandlung unfruchtbar.

Seit einigen Jahren bieten nun auch in Deutschland Universitätsklinken und Kinderwunschzentren „Social Freezing“ an. Das Hauptproblem scheint dabei jedoch das Alter der Patientinnen zu sein. „Die Frauen kommen sehr spät“, sagt die Leitende Oberärztin der Kinderwunschsprechstunde an der Tübinger Frauenklinik, Melanie Henes. Die meisten seien mindestens 35 Jahre alt. Dann lassen die Zahl und Qualität der Eizellen bereits nach. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) sagt, dass ab einem Alter von 38 Jahren nur noch jede dritte Eizelle das Auftauen übersteht. Eizellen von 25-Jährigen seien dagegen zu fast 100 Prozent intakt.

Für den Präsidenten der DGGG und ärztlichen Direktor der Frauenklinik Tübingen, Diethelm Wallwiener, ist zudem klar: „Wir machen einen ganz neuen Problembereich auf.“ Ließen sich die Frauen erst so spät die Eizellen entnehmen, gebe es künftig noch mehr ältere Mütter. Zwar gilt: Je jünger die Eizellen, desto höher die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, und desto geringer die Gefahr von Behinderungen des Kindes sowie Schwangerschaftsabbrüchen. Aber je älter die Frau ist, desto größer ist auch die Gefahr beispielsweise Schwangerschafts-Bluthochdruck und Diabetes zu bekommen.

Bei der Entnahme der Eizellen seien die Risiken für die Frau allerdings „extrem niedrig“, wie Oberärztin Henes sagt. In Einzelfällen könne es beispielsweise zu Blutungen in der Vagina kommen. Abgesehen vom Einfrieren und Auftauen der Eizellen entspricht das Verfahren einer künstlichen Befruchtung.

Kritik am „Social Freezing“

Die Medizinethikerin Claudia Bozzaro beurteilt „Social Freezing“ kritisch. Zum einen reagiere die Medizintechnik damit vor allem auf die Strukturen der modernen Arbeitswelt, auf die Schwierigkeit, Familie und Beruf zu vereinen. Zum anderen sei es auch aus psychologischer Sicht problematisch: „Frauen und Männer tun sich heute viel schwerer, endgültige Entscheidungen zu treffen.“ Viele hätten Probleme, sich auf einen Partner festzulegen. „Der Kinderwunsch ist eine Option unter Tausenden geworden.“ Social Freezing sei letztlich nur eine Fortsetzung dieses gesellschaftlichen Phänomens.

Für Diethelm Wallwiener, der auch Präsident der DGGG ist, ist das Social Freezing dagegen „nach Einführung der Pille die nächste Stufe der Emanzipation der Frau“.

Wie Oberärztin Henes sagt, kommen die meisten Frauen allerdings nicht aus Gründen der Karriereplanung zu ihr, sondern weil ihnen schlicht der Partner fehlt. Es seien Lehrerinnen, Anwältinnen, Ärztinnen. Dass es sich in der Regel um Akademikerinnen handelt, mag auch am Preis von meist mehr als 5000 Euro liegen.

Wie viele der Frauen letztlich wieder auf ihre Eizellen zurückgreifen werden, wird sich zeigen. In einer spanischen Studie war es innerhalb von fünf Jahren nur jede 25. Frau. Offen blieb jedoch, ob die anderen Frauen noch weiter warten wollten, ihren Kinderwunsch letztlich begraben hatten - oder auf natürlichem Wege schwanger geworden waren.

Huml besorgt über „Social Freezing“

Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml hat junge Frauen davor gewarnt, ihren Kinderwunsch auf Eis zu legen und ihre Eizellen einfrieren zu lassen. Dem Netzwerk Fertiprotekt zufolge nutzten im vergangenen Jahr 134 Frauen in Deutschland das Angebot zum Einfrieren. Huml sagte am Sonntag: „Als Gesundheitsministerin und Ärztin kann ich junge Frauen nur davor warnen, die Möglichkeit des Social Freezing als Garantie für die spätere Erfüllung des Kinderwunsches zu sehen.“ Sowohl die Entnahme der Eizellen als auch die Schwangerschaft im höheren Alter seien mit Gesundheitsrisiken verbunden. „Hier sind Kernfragen der individuellen Selbstbestimmung, der Privatheit familiärer Beziehungen und der körperlichen Integrität betroffen“, sagte die CSU-Politikerin. „Nicht akzeptabel wäre es für mich, wenn sich Frauen von ihrem Arbeitgeber genötigt fühlen, das Kinderkriegen aus Karrieregründen zu verschieben.“

dpa

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