Klinische Studien am Menschen lagen in fast allen Bundesländern wochenlang nahezu auf Eis. In einigen Bundesländern sind sie schon wieder angelaufen, andere ziehen gerade nach, sagt die Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG), Britta Siegmund. Allerdings war es «immer eine Nutzen-Risiko-Abwägung». Patienten, die bereits vor der Corona-Pandemie in Studien eingeschlossen wurden, seien durchgängig in den Studien geblieben und wurden weiter behandelt. «Aber de facto wurden zwischenzeitig keine neue Patienten in nicht-Covid-assoziierte Studien eingeschlossen», sagt Siegmund.
Dafür gab es mehrere Gründe: Weil die Logistik europaweit nicht funktionierte, könnten Prüfmedikamente und Nachschub ausgehen. Außerdem hätten Untersuchungen im Krankenhaus durchgeführt werden müssen - was man weitestgehend zu vermeiden versuchte.
Verzögerungen durch Coronakrise
Probleme entstünden gerade bei großen Studien, die für die Freigabe von Medikamenten relevant seien, sagt Siegmund. «Wenn diese Studien jetzt über mehrere Monate on hold sind, werden sie später abgeschlossen.» Und natürlich verzögere sich dann der gesamte Entwicklungs- und auch Zulassungsprozess.
«Ich finde persönlich, wenn man den Betrieb auf 20 Prozent reduzieren muss, dann müssen die Ressourcen auch gerecht verteilt werden - unabhängig von der Forschungsfragestellung», sagt der Vorsitzende der AG Wissenschaft des Medizinischen Fakultätentags, Christopher Baum.
Man könne nicht entscheiden, welche Forschungsfragestellung gesellschaftlich relevanter ist. «Ein Coronavirus-Forscher wäre vor einem Jahr als relativ unwichtig angesehen worden», sagt Baum. «Und dann kommt es zu so einer Ausbruchssituation, und wir sind halt froh, dass wir Grundlagenforscher haben, die sich seit Jahren mit Coronaviren beschäftigen.»
Eben drum gebe es eine Verantwortung, die Forschungslandschaft in ihrer Vielfältigkeit gleichermaßen zu erhalten und unter diesen schwierigen Bedingungen bestmöglich weiterzuentwickeln, sagt Baum. «Vielfältigkeit ist eine Stärke des deutschen Forschungswesens. Das ist ganz wichtig, dass man da jetzt keinen Kollateralschaden hat und die Fragestellung einengt».