1. Startseite
  2. Leben
  3. Gesundheit

Tipps für ein entschleunigtes Fest

KommentareDrucken

Viele Menschen sind froh, wenn die Weihnachtstage vorbei sind. Doch müssen sie nicht unbedingt hektisch sein.
Viele Menschen sind froh, wenn die Weihnachtstage vorbei sind. Doch müssen sie nicht unbedingt hektisch sein. © dpa

Die Wochen der vorweihnachtlichen Hektik sind fast vorbei. Endlich. Doch statt strahlender Augen warten an Heiligabend oft Enttäuschung und knallende Türen. Ein Psychologe gibt Tipps für entspannte Festtage.

„Wie geht’s?“ In der Weihnachtszeit hört man fast nur eine Antwort: „Total im Stress!“ Kaum beginnt die „staade Zeit“, wird es in den Straßen laut. Die einen raffen Last-Minute-Geschenke, während in der heimischen Küche die Mutter beim Back-Marathon schwitzt. Gibt man „Weihnachten & Streit“ in die Internet-Suchmaschine Google ein, erhält man fast 1,8 Millionen Ergebnisse – für „Weihnachten & Besinnlichkeit“ nicht mal die Hälfte. Doch warum tun wir uns das an? Und noch wichtiger: Wie entkommt man Stress und Streit? Wir sprachen darüber mit dem Münchner Psychotherapeuten Dr. Martin Fegg.

Wie drückt man auf die Stopp-Taste?

Nach der Arbeit ins Einkaufzentrum. Nach der Weihnachtsfeier im Büro, schnell zu der im Sportverein. Muss das wirklich alles sein? Und: Will

Psychologe Dr. Martin Fegg
„Mal auf die Stopp-Taste drücken“, rät der Münchner Psychologe Dr. Martin Fegg. © Klaus Haag

ich das? Viele Menschen fragen sich das noch nicht mal bewusst. „Die meiste Zeit fliegen wir durch unser Leben wie ein Flugzeug auf Autopilot“, sagt Psychologe Fegg. Wir erfüllen die Erwartungen anderer, leben in unseren Mustern. „Die übertriebene Geschäftigkeit vor Weihnachten führt dazu, dass man sich selbst noch weniger spürt“, sagt Fegg. Vielen ist das durchaus willkommen. Denn es heißt: Man spürt auch nicht, was schiefläuft und was man ändern sollte.

Wer dem Stress entkommen will, dem empfiehlt Fegg: Erst mal auf die Stopp-Taste drücken, um den Autopiloten-Modus zu durchbrechen. Das heißt: Sich selbst wirklich zu spüren und was man fühlt und braucht. „Das ist sicher ein Sinn von Psychotherapie“, sagt er. Doch auch auf einem langen Winterspaziergang kann man nach der Stopp-Taste suchen. Danach hat man vielleicht erkannt, dass man Heiligabend am liebsten nur mit dem Partner feiert.

Wie entkommt man dem Druck?

Im Fernsehen sinken sich die Menschen bei Kerzenschein versöhnlich in die Arme. Doch unter dem heimischen Christbaum knallt’s: Wohl zu keiner anderen Zeit klaffen Erwartung und Realität weiter auseinander als an Weihnachten. „Die Menschen erwarten heilige Familie, drinnen wie draußen“, sagt Fegg. Der Psychologe kann die Sehnsucht einerseits verstehen. Denn Weihnachten symbolisiert für viele das Kostbarste überhaupt: die Geburt des Heilands. Dann soll in der eigenen Familie ebenfalls perfekte Harmonie herrschen. „Die Erwartung ist oft völlig übersteigert“, sagt Fegg.

Auch hier kann es helfen, sich dessen bewusst zu werden. Spürt man den Druck der eigenen Erwartung, beginnt er oft schon etwas nachzulassen. Und: Will man sich schon unter dem Jahr nicht sehen, sollte man nicht gerade Weihnachten zusammen feiern. Denn Harmonie lässt sich nicht erzwingen.

Muss ich mit der Familie feiern?

Die Weihnachtstage bedeuten für viele Menschen einen Ausnahmezustand: Unterm Jahr sehen sie ihre Eltern vielleicht zwei Mal, telefonieren mal mit den Geschwistern und schicken der Tante eine Geburtstagskarte. Doch plötzlich sitzen alle gemeinsam unterm Baum, manchmal tagelang. Traditionell gilt Weihnachten als Familienfest. Und für viele bedeutet das die Rückkehr in ihre Herkunftsfamilie.

Doch sollte man sich durchaus trauen, mal eine Tradition zu durchbrechen. Warum nicht den Heiligabend nur mit der eigenen kleinen Familie verbringen? Oder mit Freunden? Hat man einen solchen Wunsch, rät Fegg dazu, dies etwa mit den Eltern zu besprechen. Wer weiß: Vielleicht feiern auch die lieber in Ruhe zu zweit – und trauen sich nur nicht, es vorzuschlagen. An den Weihnachtsfeiertagen kann sich die Familie ja etwa zu einem Essen treffen. „Dabei können auch mal die Kinder die Eltern einladen“, schlägt Fegg vor. Auch solche Traditionen umzukehren, hilft oft, Stress zu vermeiden.

Wie schaffe ich einen Ort für Rückzug?

Für viele bleiben die freien Weihnachtstage aber ein Anlass, um ihre Familie zu besuchen. Auch Fegg selbst freut sich, seine Mutter und seine beiden Schwestern in Berchtesgaden zu treffen. Doch nicht immer bedeutet ein Fest mit der Familie harmonische Tage. Bei der Rückkehr in die alte Heimat lauern oft Konflikte: Der Vater fragt, ob es jetzt endlich mal mit einem festen Job klappt. Die Mutter will wissen, ob sie bald einen Enkel im Arm halten darf. Und die erwachsenen Kinder fühlen sich hilflos wie einst und reagieren abwehrend, als wären sie wieder 13. Allzu leicht fällt man in alte Muster.

Doch kann man auch das oft vermeiden. Etwa, indem man die Zeit allzu großer Nähe beschränkt. „Man kann den Tagen des Besuchs vorab eine feste Struktur geben“, sagt Fegg. Sei es, dass man sich nach dem Festessen mit alten Freunden verabredet oder lieber allein in die Christmette geht. Auch Freunde anzurufen, verschafft etwas Luft, oder im Hotel zu übernachten statt im ehemaligen Kinderzimmer. Ein gutes Buch oder die Lieblingsmusik können ebenfalls ein Rückzug sein.

Wichtig ist es außerdem, die persönlichen Stresszeichen herauszufinden. Bei jedem zeigt sich Anspannung anders: Der eine bekommt Kopfschmerzen, beim anderen grummelt eher der Magen. Dann ist eine Auszeit nötig. Und die sollte man sich unbedingt nehmen – ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben.

Wie entschleunige ich mich?

Die Spitzenküche hat den Trend erkannt: Slow Food heißt eine Bewegung gegen das verbreitete in sich Hineinfuttern. An Weihnachten muss dieser Trend noch entdeckt werden. Heiligabend bei den Schwiegereltern im Norden, dann zu den eigenen Eltern zurück nach Bayern: Viele Menschen hetzen durch die Weihnachtstage.

Fegg rät dagegen zur Entschleunigung. „Wenn sie einen Christkindlmarkt besuchen: Gehen Sie doch einfach mal bewusst ganz langsam.“ So kann man die Eindrücke tief in sich aufnehmen, wie der Schnee auf den Dächern glitzert – ja selbst wenn es Regentropfen sind, die auf die letzten Herbstblätter fallen. Alles wird intensiver, kraftvoller, wenn man es mit bewusst erlebt. „Achtsamkeit hilft die positive Kraft des Moments zu nutzen“, sagt Fegg.

Was ist das schönste Geschenk?

Plätzchen backen an Weihnachten: Martin Fegg erinnert sich, wie er selbst als Kind seiner Mutter dabei half. Und dass an manchen Abenden im Winter der Abendhimmel rot glühte. „Jetzt backen auch die Engel im Himmel Plätzchen“, sagte dann seine Mutter. „Was ich wann geschenkt bekommen habe, daran erinnere ich mich nicht mehr“, sagt Fegg. Es sind eben solche intensiven Momente zwischen Menschen, die zählen.

Das erfährt der Psychologe auch in seiner Arbeit auf der Palliativstation im Uniklinikum Großhadern. Eine Aufgabe, die sehr erfüllend sein kann. Denn von den Menschen, die bald sterben, kann man viel lernen: Etwa, wie man wirklich lebt. Wenn die Zeit kurz wird, zeigt sich, was wirklich zählt: intensive Gespräche, Nähe zu Menschen. „Es gibt nichts Wichtigeres, nichts Schöneres“, sagt Fegg. Und das nicht nur, wenn das Leben abläuft. Schließlich ist die Zeit jedes Menschen begrenzt. Mit ihr sollte man daher achtsam umgehen. Statt von einer Feier zur nächsten zu hetzen, empfiehlt Fegg, sich lieber Zeit zu nehmen, für Freunde, für die Familie, um so echter Nähe eine Chance zu geben – und das am besten nicht nur an Weihnachten.

Von Sonja Gibis

Der Experte

Der Münchner Psychotherapeut Martin Fegg ist Leiter der Gemeinschaftspraxis PD Dr. Fegg & Kollegen am Marienplatz. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter ist er zudem auf der Palliativsstation des Münchner Uniklinikums in Großhadern tätig.

Auch interessant

Kommentare