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Das zweite Gehirn in unserem Bauch

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Bauch
Bauchgefühl: Im menschlichen Unterleib sitzt eine Steuerzentrale aus zahllosen Nerven, die in vielen Bereichen weitgehend unabhängig vom Gehirn funktioniert. © dpa

Neue Forschungen bestätigen, was der Volksmund bereits lange weiß: Das Bauchgefühl gibt es wirklich.

Im menschlichen Unterleib sitzt eine Steuerzentrale aus zahllosen Nerven, die in vielen Bereichen weitgehend unabhängig vom Gehirn funktioniert. Dieses enterische Nervensystem besteht aus etwa 100 Millionen Nervenzellen. Das sind etwa fünf Mal so viele wie im gesamten Rückenmark. Manche Experten sprechen daher auch vom Darmhirn.

Gestörte Darmflora ist ein Risikofaktor

Die Aufgabe dieses zweiten Gehirns, das den Verdauungstrakt wie ein feines Netz umspinnt, ist der Transport der Nahrung durch die verschiedenen Darmabschnitte. Es erfühlt und erschmeckt, welche Art von Nahrung verdaut werden muss, und entscheidet etwa, wie viel Gallensaft benötigt wird. Dass das Darmhirn allerdings bei intuitiven Entscheidungen mitwirkt, konnte bislang nicht nachgewiesen werden. Rationales Denken oder Gedächtnis sind ihm wohl fremd. Andererseits gibt es überraschende neue Erkenntnisse über seine Untermieter, die Darmbakterien: Offenbar haben sie Einfluss darauf, wie sich das Gehirn im Bauch fühlt – und wirken damit auch auf die Steuerzentrale im Kopf. In Tierversuchen beeinflusste eine Behandlung mit Antibiotika, die viele Darmbakterien vernichtet, auch das Lernvermögen von Mäusen. Das Gedächtnis der Nager verschlechterte sich. Manchen Forschern gilt eine gestörte Darmflora sogar als Risikofaktor für Depressionen. Wie das Gehirn sind die Nerven des Darms zudem anfällig für Erkrankungen. Dies ist etwa der Grund, warum Diabetiker so oft unter Verdauungsbeschwerden leiden. Der erhöhte Blutzucker greift nicht nur die Nerven in den Beinen an, sondern auch die im Bauch. Auch Medikamente können sie schädigen.

Reizdarm-Patienten scheinen dagegen ein besonders sensibles Darmhirn zu haben. „Sie reagieren im Schnitt empfindlicher auf mechanische Reize im Darm“, sagt Dr. Sebastian Brechenmacher. Freiwilligen wurde etwa ein aufblasbarer Ballon in den Darm eingeführt. Testpersonen mit einem nervösen Darm spürten den Druck in der Regel früher und empfanden ihn auch eher als unangenehm oder sogar schmerzhaft. Ein möglicher Grund dafür: Bei Personen mit einem Reizdarm fand sich im Schnitt eine erhöhte Dichte von Nervenfasern im Darmtrakt. Bei Untersuchungen des Gehirns zeigte sich zudem, dass die Reize aus dem Darm in der Steuerzentrale im Kopf andere und größere Areale aktivierten. Denn Darmhirn und Kopfhirn stehen in ständigem Kontakt. Kein Wunder also, dass die Psyche großen Einfluss auf die Verdauung hat. „Dass Nervosität und Anspannung sich auf die Verdauung schlagen kann, hat fast jeder schon mal erlebt“, sagt Brechenmacher.

Zudem reagieren die Nerven im Darm auf dieselben Botenstoffe wie die Gehirnnerven, etwa auf das Glückshormon Serotonin oder auf Adrenalin, das bei Stress ausgeschüttet wird. Bekannt ist außerdem: Die Psyche beeinflusst dass Immunsystem, von dem im Darm ein wichtiger Teil sitzt. Auch wenn die Ursache des Reizdarms also nicht einseitig in der Psyche zu suchen ist, hat diese großen Einfluss. Stress, Nervosität und Kummer können daher nicht nur „auf den Magen schlagen“, sondern auch auf den Darm – und die Verdauungsbeschwerden verstärken oder auch auslösen. Entspannungstechniken wie Yoga und Meditation, aber auch regelmäßiger Sport und ausreichend Schlaf können daher helfen, den gereizten Darm wieder zu beruhigen. Läuft bei der Verdauung nicht alles glatt, hat das seinerseits Einfluss auf die Psyche. Denn der Darm hat dem Gehirn viel mitzuteilen. Zahlreiche Sendekabel aus Nerven verbinden die Steuerzentrale im Bauch mit der im Kopf. Das Erstaunliche: 90 Prozent davon senden Informationen Richtung Gehirn. Der Darm hat der Steuerzentrale im Kopf also weitaus mehr mitzuteilen als diese ihm. Das Bauchgefühl hat also vielleicht einen größeren Einfluss auf uns als wir glauben.

sog

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