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Arbeitszeit-Debatte: Wie viel ist gesund?

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Eine Karte zur Arbeitszeiterfassung wird in einem Betrieb im niederbayerischen Passau unter eine so genannte Stechuhr gelegt
Eine Karte zur Arbeitszeiterfassung wird in einem Betrieb im niederbayerischen Passau unter eine so genannte Stechuhr gelegt © dpa (Symbolbild)

Frankfurt - Vollzeitkräfte arbeiten in Deutschland durchschnittlich 39,1 Stunden pro Woche. Arbeitgeber fordern deutlich längere Arbeitszeiten. Doch Wissenschaftler warnen vor einem fatalen Trugschluss.

Die Gewerkschaften sehen das Problem eindeutig: „Arbeitszeit ist Lebenszeit“, mahnt die IG Metall. „Wenn es zu viel wird, macht der Körper schlapp.“ Dem stehen Forderungen von Wirtschaftswissenschaftlern gegenüber, angesichts der demografischen Probleme die vorhandenen Fachkräfte zu längeren Arbeitszeiten anzuhalten.

Über die Frage, ab wann genau die Arbeit zu viel wird, haben Arbeitsmediziner und Soziologen schon viele Studien angefertigt. Einfache Antworten haben sie schon wegen der Vielfalt der Arbeitsverhältnisse nicht gefunden. Ganz grob scheinen zu normalen Zeiten und bei durchschnittlicher Belastung zwischen 35 und 40 Wochenstunden akzeptabel, sagt der Oldenburger Arbeitspsychologe Friedhelm Nachreiner.

Mehr als 40 Stunden pro Woche gefährden Gesundheit

Die gesetzlichen Grundlagen sind vage. Wegen der Tarifautonomie definiert das deutsche Arbeitsschutzgesetz nur eine tägliche Arbeitszeit von acht Stunden, die bei zeitnahem Ausgleich auf bis zu zehn Stunden ausgeweitet werden darf. Für das Verbot der Sonntagsarbeit gibt es zahlreiche Ausnahmen, so dass unter dem Strich von einer wöchentlichen Höchstarbeitsdauer von 48 Stunden ausgegangen wird. Diese Zahl nennt auch die europäische Richtlinie zur Arbeitszeitgestaltung, das Nähere regeln die Tarifverträge mit deutlich niedrigeren Obergrenzen.

Dass wöchentliche Arbeitszeiten von deutlich mehr als 40 Stunden der Gesundheit und auch der Arbeitssicherheit schaden, gilt dem Experten Frank Brenscheidt von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in Dortmund als sichere Erkenntnis. Zahlreiche Studien haben Zusammenhänge zwischen langen Arbeitszeiten und gesundheitlichen Problemen wie Magen-Darm-Beschwerden, Rückenschmerzen oder Stressempfinden bewiesen. Wer längeren Belastungen ausgesetzt ist, benötige kurzfristigen Freizeitausgleich, lautet eine der wichtigsten Forderungen der Arbeitsmediziner.

Menschen haben noch nie so wenig Zeit für Arbeit aufgewendet

Nachreiner weist auf weitere belastende Faktoren hin: Arbeit in Schichten, am Wochenende und in der Nacht bringt neben den gesundheitlichen Risiken auch soziale Probleme für die Betroffenen mit sich. Die um sich greifende Verdichtung der Arbeit sei eher ein Argument für kürzere als für längere Arbeitszeiten.

Dabei haben die Menschen noch nie so wenig Zeit für ihre Erwerbsarbeit aufgewendet. 2012 lag die durchschnittliche Wochenarbeitszeit für Vollzeitkräfte in Deutschland nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes bei 39,1 Stunden. Tariflich wären sie zu geringerer Arbeitszeit verpflichtet. 35 Stunden lautet etwa die hart erkämpfte tarifliche Vorgabe in der Metall- und Elektroindustrie. Auch sind die Deutschen auf ihren hochproduktiven Arbeitsplätzen mit einem Urlaubsanspruch von rund 40 Tagen inklusive der Feiertage zusammen mit den Dänen Freizeit-Europameister. Wenn die Menschen selbst gefragt werden, scheinen sie eher mehr arbeiten zu wollen. Laut einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes wollten im Jahr 2011 rund 3,7 Millionen Erwerbstätige mehr arbeiten als bislang, während nur eine runde Million ihre Arbeitszeit verringern wollten.

"Leistung sinkt mit zunehmender Arbeitszeit überproportional ab"

Generell längere Arbeitszeiten für Fachkräfte halten Wirtschaftswissenschaftler angesichts deutscher Exporterfolge und schwindender Arbeitskräftereservoirs für notwendig. Entsprechende Forderungen wurden beispielsweise vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle erhoben.

Tarifexperte Reinhard Bispinck vom gewerkschaftsnahen Böckler-Institut hält das für kontraproduktiv. „Angesichts der gestiegenen Arbeitsbelastung und Leistungsverdichtung muss das Thema 'Arbeitszeitverkürzung' wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden.“ Psychologe Nachreiner wird deutlicher: „Dahinter steckt die dämliche Annahme, dass Menschen wie Maschinen arbeiten, die Arbeitsmenge oder Leistung also proportional zur Arbeitszeit ist. Das ist nun definitiv nicht so, weil es sich bei Menschen um biologische, rückgekoppelte Systeme handelt, die nichtlinear funktionieren. Die Leistung sinkt mit zunehmender Dauer der Arbeitszeit überproportional ab.“

Eher um die gerechte Verteilung von Arbeit geht es den Unterzeichnern eines Aufrufes zur Einführung der 30-Stunden-Woche, die insbesondere bei der Partei der Linken und im Netzwerk „Attac“ Unterstützung findet. Solange wegen der gestiegenen Produktivität ein Überangebot an Arbeitskraft bestehe, so ihre Überzeugung, seien gesellschaftliche Probleme wie Massenarbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung nicht zu lösen. Die Gewerkschaften zeigten den Unterzeichnern aber die kalte Schulter und verwiesen auf ihre Tarifautonomie. Und in den laufenden Tarifverhandlungen geht es in allererster Linie ums Geld.

dpa

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