Und jeder weitere Skandal, ja sogar jede weitere Vermutung, nährt den Glauben, dass Awareness vielen Großen völlig egal ist und bestenfalls nur eine Masche, um darüber noch mehr Geld verdienen. Oftmals zwar ein durchaus berechtigter Verdacht, manchmal aber zu wenig differenziert.
Im ersten Kapitel wurde beschrieben, dass heute viele Stars mit Absicht so wenig Distanz wie möglich zwischen sich und die Fans bringen möchten. Das hat einen ganz einfachen Grund: Distanz wirkt auf die meisten Menschen immer negativ, buchstäblich „distanziert“. Wir wollen heute auf Augenhöhe miteinander existieren. Und was beim Duzen des Kunden im Geschäft anfängt – die erfolgreiche Ikea-Masche -, beim Superstar, der auf Facebook direkt mit seinen Fans interagiert, zieht sich auch auf die Modewelt über.
Nehmen wir dazu das Label Anerkjendt – Thoughts of Denmark. Ein kleines dänisches Unternehmen. Das Erfolgsrezept dieser Marke steht stellvertretend für alle Labels in dieser Größenordnung. Dabei handelt es sich nicht um Modekonzerne mit globalen Lieferketten und Subunternehmern, mit dutzende Köpfe starken Designabteilungen, ja vielleicht sogar Vorständen und Shareholder Value. Es sind kleine Firmen, oftmals mit einer nicht mal zweistelligen Belegschaft. Sie sind das modische Äquivalent zum Bäcker an der Ecke, zum Tante-Emma-Laden. Und im Falle von Anerkjendt auch noch mit einer weitaus glaubwürdigeren Awareness-Message.
Solche Firmen brauchen sich nicht, ungleich zu großen Labels, künstlich eine Art „Street Credibility“ überstülpen, die ihnen ob der Größe doch sowieso niemand ganz abkauft. Die kleinen Player besitzen sie bereits von Haus aus durch die Tatsache, dass sie so klein sind. Für den Kunden fühlt sich das ein wenig so an, wie ein paar Freunde, die aus Spaß an der Freude ein Modelabel gegründet haben – dass auch die Kleinen natürlich den marktwirtschaftlichen Gesetzen unterworfen sind, ist zwar den meisten bewusst, wird aber hier ganz im Sinne des Underdog-Effekts viel eher akzeptiert als bei den großen Global Playern.
Stellen wir uns für einen kurzen Moment die Entscheidungsprozesse in einem großen Modelabel vor. Einer der vielen dort angestellten Designer hat sich einen neuen Stil einfallen lassen und ihn zu Papier gebracht. An diesem Punkt beginnt einer der womöglich gewichtigsten Nachteile der großen Bekleidungskonzerne.
Denn wie man sich vielleicht auch als Laie denken kann, ist das, was der Einzelne dort kreiert, schon mal per se etwas, was viele Hürden überwinden muss. Es beginnt mit dem team-internen Wettstreit: Welcher Stil welches Kollegen kann sich durchsetzen? Dann müssen die Chefdesigner, die großen Namen, es absegnen – was in den seltensten Fällen ohne mehr oder weniger umfangreiche Veränderungsprozesse geht.
Anschließend muss die Führungsetage Ja sagen, müssen Produktionsverhandlungen geführt, wollten Lieferanten konsultiert werden. Natürlich, das Ergebnis ist freilich in Beton gegossen – was ein weltumspannendes Label mit namhaften Designer-Aushängeschildern als Trend definiert und auf die größten Modenschauen der Welt schickt, das IST Trend der kommenden Saison. Aber bis etwas diesen Status erreicht, ist es ein ewig langer Prozess, in dem der kreative Einfluss des Einzelnen kaum noch messbar ist, so sehr wird er durch die Arbeit so vieler Hände und Köpfe verwässert.
Stark überzeichnet sieht es bei den kleinen Labels etwas anders aus. Wo der Designer gleichzeitig auch der Firmenchef und Chefeinkäufer ist, ist er nur seiner eigenen Kreativität unterworfen. Das birgt zwar mehr Potenzial führ Fehler. Es erlaubt aber ein ungleich flexibleres, modisch mutigeres Vorgehen. Man darf sich austoben – auch schon deshalb, weil ein neues Trendobjekt nicht mehrere Millionen Gewinn generieren muss. Und ein derart geringeres Risiko schlägt sich natürlich auch in einer gesteigerten Kreativität nieder.