Die französischen Kolonialherren haben auch sprachliche Akzente gesetzt. So geht das Wort Pho Ma für Käse auf fromage zurück, Kuchen heißt Ga To und ist dem französische Wort gâteau entliehen. In den Gassen gibt es viele Köstlichkeiten zu entdecken, zum Beispiel das Himmelsbrot Bahn Troi. Die süßen Knödel aus Reisstärke mit Sesam- und Kokosfüllung in Ingwersuppe verkauft eine Familie in einer unscheinbaren Garageneinfahrt in der Schuhgasse Hang Giay für ebenfalls nur 40 Cent. Hier drängelt sich die Kundschaft. An einer Straßenecke hat sich eine junge Frau mit Gaskocher und einem Riesentopf Suppe darauf eingerichtet. Schalen mit Schnittlauch, Nudeln, Hühner- und Rindfleisch umgeben sie. Zwei Tischlein mit winzigen Stühlen stehen daneben. Wer für 80 Cent eine Suppe kauft, kann sich hier niederlassen.
Eine der ältesten Garküchen Hanois findet sich in der Schuhgasse. Die Feuerstelle ist geradewegs in die Hauswand eingelassen. Der Duft der Speisen wabert durch die Gasse und zieht jeden Tag hunderte Gäste an. Als Kontrast wirbt an einer Wand nebenan der Schriftzug “Free Internet, Fast Food“ in knalligen Farben für das Angebot einer Bar. Die Moderne macht eben auch vor der 1000-jährigen Altstadt nicht halt. Zwar gibt es noch alte Tempel wie Bach Ma, den des weißen Pferdes. Er wird gerade für die große Feier mit Gold und satten Farben hergerichtet. Doch überall müssen alte Läden Bars, Restaurants, Hotels und Marken-Geschäften weichen.
Für Touristen gibt es Souvenirs an jeder Ecke: Seidenschals, Lackwaren oder Kunst aus Manufakturen. “Rembrandt zum Quadratmeterpreis“, nennt Christian Oster das Prinzip. “Die Vietnamesen nehmen das Wort Copyright wörtlich: Recht auf Kopieren.“ Dabei sie sind verblüffend gut - warum auch nicht, meint Oster: “Früher war es eine Ehre für den Meister, kopiert zu werden.“
Die Altstadt ist hoffnungslos übervölkert. 90 000 Menschen leben auf nur rund zehn Hektar Fläche. Viele Häuser sind nur zwei oder drei Meter breit, dafür aber ellenlang. In den Tunnelhäusern ist es dunkel und muffig, die Lüftung lässt zu wünschen übrig. Ein paar wenige Toiletten für mehr als 200 Bewohner sind keine Seltenheit. Viele Zimmer haben noch nicht einmal Fenster. Die Stadt hat schon mehrfach eine Sanierung angekündigt. Doch die Einwohner weigern sich standhaft, an den Stadtrand umzusiedeln. So hat die Stadt erst einmal den Abwassergräben am Straßenrand Deckel verpasst.
In den Altstadtgassen wird frisiert, gekocht, gegessen, gespült, gehandelt, gelernt, gedöst und vieles mehr. Geturtelt und gestritten zum Beispiel, denn in den beengten Wohnungen ist dafür kein Platz. Der Hoan Kiem-See und seine Promenade sind deshalb bevorzugte Tummelplätze von Verliebten und Zerstrittenen. Die Bänke sind meist von eng umschlungenen Paaren besetzt, die der Enge ihrer Behausungen und den Argusaugen der Verwandten entfliehen. Streithähne ziehen die offenen Rasenflächen vor und werden dabei auch schon mal handgreiflich. Irgendwann kommt jemand und schlichtet den Streit. Schuhmacher, Schlüsselmacher und Schneider verrichten indes ihr Werk am Straßenrand der Altstadt.
Das Schlendern auf den engen Bürgersteigen bleibt ein Hindernislauf mit Töpfen, Pfannen, Stühlen, Maschinen oder Kindern. Manchmal hilft nur noch ein beherzter Sprung - zum Beispiel, um nicht vom abgenagten Hühnchenknochen getroffen zu werden, den ein alter Mann im hohen Bogen über die Schulter wirft. Senioren sind in den Gassen eher selten anzutreffen.
70 Prozent der Menschen sind unter 30. “Die jungen Leute haben drei Prioritäten“, sagt Oster: “Geld, Reichtum und Wohlstand.“ Wer es geschafft hat - egal ob mit oder ohne Hilfe der Elten - flitzt vorzugsweise auf einem Motorroller der Oberklasse von Boutique zu Boutique. Eine Umfrage ergab jüngst, dass das wichtigste Vorbild der jungen Vietnamesen Microsoft-Gründer Bill Gates ist. Die kommunistische Regierung war entsetzt. Sofort musste der staatliche Rundfunk eine Serie auflegen: “Leben und Arbeiten nach dem Vorbild von Ho Chi Minh“. Ob die Serie Zuhörer hatte, ist unbekannt.
Christiane Oelrich
ANREISE UND FORMALITÄTEN: Vietnam verlangt von Touristen ein Visum, das gegen Gebühr von der Vietnamesischen Botschaft in Deutschland ausgestellt wird. Kinderausweise werden mit aktuellem Bild akzeptiert, ein Reisepass oder ein Eintrag im Pass der Eltern ist aber ratsam. Die Flugzeit beträgt rund 13 Stunden.
KLIMA UND REISEZEIT: Im Sommer ist es in Hanoi subtropisch heiß und schwül, im Winter manchmal frisch mit Temperaturen um 20 Grad. Als beste Reisezeit gelten die Monate Oktober bis April.
WÄHRUNG: Für 100 Euro bekommt man 2,6 Millionen Dong (Stand: Januar 2010). Am Flughafen und in der Stadt gibt es Wechselstuben. Mit Kredit- oder Maestrokarte lässt sich an Automaten Bargeld ziehen.
GESUNDHEIT: Impfungen gegen Tetanus, Diphtherie, Polio und Hepatitis A und B werden empfohlen. Dengue-Fieber ist eher im Süden des Landes ein Problem. Trotzdem ist guter Mückenschutz ratsam.
INFORMATIONEN: Botschaft von Vietnam, Konstantinstraße 37, 53179 Bonn, Tel.: 0228/95 75 40, www.vietnambotschaft.org.
dpa