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Spaniens Bahnhof Canfranc und seine einzigartige Geschichte im Kampf gegen das Vergessen

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Ein Radfahrer blickt auf das Bahnhofsgebäude von Canfranc vor einer Bergkulisse.
Dieser Lost Place in Spanien lässt sich erkunden: Durch den Geisterbahnhof Canfranc gibt es Führungen. © Servidor web de Turismo de Aragón, Gobierno de Aragón, www.turismodearagon.com

Der Geisterbahnhof Canfranc im hohen Norden von Spanien ist einzigartig: Nicht nur wegen seiner Dimensionen als einst zweitgrößter Bahnhof Europas, sondern auch wegen der Geschichte dieses Lost Place. In dem spektakulären Gebäude tauschten Hitler und Franco Gold gegen Wolfram, und um die Eisenbahnlinie spannt sich ein Netz aus Spionen und Doppelspionen.

Canfranc - Mancher Liebhaber der Eisenbahn hat vielleicht etwas vom Glamour vergangener Tage vermisst, als kürzlich der erste Zug seit langem in den neuen Bahnhof von Canfranc im hohen Norden von Spanien* einfuhr. Ein etwas schnöder Nahverkehrszug des Typs 599 steuerte dieses Monument spanischer Eisenbahngeschichte in den Pyrenäen an - heute ein Lost Place. Nichts als dieser Canfranero mit gerade mal 50 Zuggästen an Bord, fährt noch auf Schienen dieses verlassene, auf 1.100 Metern gelegene Bergtal in Aragón an. Nicht unbedingt die Eröffnung eines Bahnhofs in einem Dorf am Ende der Eisenbahn-Welt lockte all die Journalisten in diesen Zug. Im Rattern der kleinen Bahn schwingt die fast vergessene Geschichte vom Geisterbahnhof Canfranc mit, eine von Spionen und Doppelspionen, von Gold und Krieg, Königen und Tyrannen, Freiheit, Flucht und Verfolgung – und natürlich der Eisenbahn.

Bahnhof CanfrancBahnhof in Spanien
Adresse22880 Canfranc-Estación, Provinz Huesca
Eröffnung11. Juli 1928
ProvinzHuesca
Höhe1.195 m

Geisterbahnhof Canfranc: Vom zweitgrößten internationalen Bahnhof Europas zum Lost Place in Spanien

Während der Fahrt in diesem Züglein durch die idyllische Berglandschaft mag man den alten Geschichten kaum Glauben schenken, aber Canfranc galt einmal als der zweitgrößte internationale Bahnhof Europas. Der heutige Geisterbahnhof war der Anschluss an die Welt. Einige Jahre konnten Frankreich und Spanien nur an diesem Knotenpunkt über die Schienen zusammenkommen. Während des Zweiten Weltkriegs kamen für Hitlers Panzer Waggons voll mit Wolfram, Eisen und anderen Metallen aus den Minen Galiciens, Kastilien-Leóns und Portugals an, die mit geraubtem Nazi-Gold aufgewogen wurden.

Während die Diktatoren an diesem heutigen Lost Place einst ihren dubiosen Geschäften nachgingen, kauerten womöglich in den Waggons, die in den Bahnhof Canfranc einfuhren, Menschen, die vor diesen Schergen flüchteten. Erst 2001 entdeckte ein Busfahrer in einem Bahnhofsgebäude in Spanien Tonnen von diesen alten Papieren, die den Güterverkehr zwischen Franco und Hitler penibel dokumentieren.

Von Canfranc aus fuhr täglich ein Zug nach Madrid, von dort aus flüchteten viele Menschen vor Krieg, Leid und Verfolgung weiter nach Lissabon und Amerika. In Canfranc fuhr aber auch ein Zug ab, der Juden und andere Gefangene der Nationalsozialisten in Spaniens Konzentrationslager Miranda de Ebro deportierte. Ein Bewohner brachte es gut auf den Punkt: man hätte Casablanca mit Humphrey Bogart auch in Canfranc drehen können.

Hat der Bahnhof Canfranc in Spanien eine Zukunft als Verbindung nach Frankreich?

Als der kleine Nahverkehrszug in dem Geisterbahnhof Canfranc einfährt, schwärmt manch ein Nostalgiker davon, bald wieder ab Spanien mit der transpyrenäischen Bahn von Aragón nach Frankreich zu fahren. Eisenbahn-Romantik stirbt nie, und jetzt, wo Reisen nach Spanien zumindest für Geimpfte wieder einfacher werden*, ist der spektakuläre Bahnhof sicherlich einen Besuch wert - nicht nur für Freunde von Lost Places. 2023 könnte sich wirklich vor der beeindruckenden Kulisse aus Bergen und Bahnhof das Tor nach Europa erneut öffnen, 840 Schienenkilometer von Paris, 557 von Madrid und 1.190 von London entfernt. Auch die französische Initiative, die den Nachtzug nach Spanien wiederbeleben* will, beweist: Bahn-Nostalgiker gibt es auch 2021 reichlich.

Nichts bereitet den Fahrgast auf den Bahnhof mit derart immensen Dimensionen in diesem 500-Seelen-Ort vor, der heute vor allem Wintersportlern und Bergurlaubern ein Begriff ist. Jeder Tag im Jahr hat im 241 Meter langen Bahnhofsgebäude von Canfranc ein Fenster, 365 in einem 9.000 Quadratmeter großen Palast. Nicht von ungefähr steht Canfranc völlig zurecht auf der Liste der zehn schönsten Bahnhöfe in Spanien*. 1928, bei seiner Eröffnung durch Alfonso XIII., stand er zur Hälfte auf französischem und zur Hälfte auf spanischem Territorium. Canfranc gilt in der Geschichtsschreibung als einziger Ort Spaniens, der von den Nationalsozialisten nach der Eroberung Frankreichs besetzt wurde.

Bahnhof Canfranc in den Bergen von Spanien: Lost Place größer als die Titanic

Seit 2013 können Spanien-Touristen durch dieses wunderschöne, einst als die „Dame der Pyrenäen“ bekannte Jugendstil-Gebäude spazieren. Langsam rütteln etwa 40.000 Besucher jährlich diesen Lost Place, dessen Architektur sich an französische Paläste des 19. Jahrhunderts anlehnt, aus seinem Dornröschen-Schlaf. Der Stuck in der Eingangshalle, die Mosaikfliesen und hölzernen Wechselstuben – all das kann man bei einer Führung durch die Estación Internacional de Canfranc bewundern, sogar alte und restaurierte Waggons aus den Kriegsjahren stehen auf den Abstellgleisen des Geisterbahnhofs. Nachts wird der Prachtbau stimmungsvoll beleuchtet. Einen Eindruck von dem Geisterbahnhof gibt die Tourismus-Seite von Canfranc mit Fotos auch aus dem Innern des Lost Place. In nicht allzu ferner Zukunft soll die „Dame der Pyrenäen“ als Hotel einer neuen Bestimmung zugeführt werden.

„Das Gebäude ist gewaltig, es ist zwölf Meter länger als die Titanic“, sagt Victor López, früherer Bürgermeister von Canfranc, der sich für die Wiedereröffnung der Verbindung von Spanien nach Frankreich stark macht. In einem Bau konnte der komplette Waren- und Personenverkehr eines internationalen Bahnhofs abgewickelt werden, von der Zollabfertigung bis zur Hotelübernachtung. Mit dem Bahnhof wollte und konnte der imposanten Auftritten nicht abgeneigte Alfonso XIII. Europa zeigen, wozu Spanien als Industrienation fähig ist. Könige, Regierungschefs und Prominenz aus ganz Europa machten der „Dame der Pyrenäen“ ihre Aufwartung – und das darf man als Treppenwitz verstehen – bei der Eröffnung stand an der Spitze der Militärparade niemand anders als Francisco Franco.

Bahnhof Canfranc kämpfte von Anfang an gegen Schwierigkeiten

Da spielte es keine Rolle, dass die Dimensionen des Bahnhofs für lange Zeit in keinster Weise der doch eher – wenn überhaupt – sekundären Bedeutung entsprachen, die diese Zugverbindung jeweils nach den beiden Weltkriegen spielen sollte. Auch ein böses Omen, dass nach der Eröffnung aus ungeklärter Ursache der ganze Südflügel bei einem Großbrand in Flammen aufging. „In Canfranc lief alles von Anfang an schief“, sagt Santiago Parra, Professor und Autor mehrerer Abhandlungen über den Geisterbahnhof von Canfranc.

Auch der Güterverkehr rollte nicht zuletzt wegen der Weltwirtschaftskrise nur schleppend an, die Beladung der Waggons erwies sich als schwieriger als vorhergesehen und manche Ladung Orangen aus dem sonnigen Süden Spaniens* starb in der eisigen Kälte am Ladegleis den Gefriertod. Obendrein drückte die baskische Zuggesellschaft dem Güterverkehr hohe Abgaben auf, um die Nordverbindung über Irun zu stärken. Als dann auch noch der Bürgerkrieg ausbrach und Franco die Verbindung nach Frankreich dichtmachte, schien das Schicksal von Canfranc besiegelt. Vier Jahre lang hoppelten Fuchs und Hase über die Schienen des heutigen Lost Place.

In Canfranc lief alles von Anfang an schief“

Santiago Parra, Professor und Autor

Als aber im Zweiten Weltkrieg Bomben die Verbindungen im Norden ins Baskenland und im Süden über Katalonien zerstörten, fuhr nur noch über Canfranc ein Zug von Frankreich nach Spanien. Und so konnten Franco und Hitler Wolfram und Gold tauschen. Die Kriegsbeute, die Nazis aus den besetzten Gebieten und von jüdischen Familien raubten, Gold, Schmuck, Möbel, Uhren und sogar Zahnersätze füllten die Güterzüge und erreichten den Bahnhof Canfranc, wo die Ladungen gegen das begehrte Metall getauscht wurden, das die Rüstungen der Panzer nahezu unzerstörbar machen konnte. „Canfranc hat den Zweiten Weltkrieg bestimmt um zwei Jahre verlängert“, meint der Autor des Buchs „Das Gold von Canfranc“, Ramón Campo.

Um den Bahnhof Canfranc spannt sich ein Netz aus Spionage und Gegenspionage

1942 hissten die Nazis ihr Banner mit dem Hakenkreuz im französischen Teil des Bahnhofs. Von nun an spannte sich ein Netz aus Spionage und Gegenspionage über Canfranc, das der Chef des französischen Grenzschutzes, Albert Le Lay, in Händen hielt. Le Lay galt seinerzeit als „der König von Canfranc“ und lieferte als Doppelspion entscheidende Informationen an die Alliierten für deren Invasion in der Normandie. Le Lay machte nicht nur gleichzeitig mit Alliierten und mit Nationalsozialisten Geschäfte. Bis heute wird er in Spanien, aber auch in Israel und den Vereinigten Staaten als der „Schindler von Canfranc“ gewürdigt, da er dank seiner Kontakte zum Widerstand vielen Menschen bei der Flucht vor den Nazis half. Juden, Verfolgte, Soldaten, Piloten und Spione nutzen diesen „Zug in die Freiheit“. Dankesschreiben auch von so bekannten Persönlichkeiten wie Marc Chagall, Max Ernst oder Joséphine Baker legen Zeugnis von diesem mutigen Mann ab, der wie der Bahnhof von Canfranc in Vergessenheit geraten ist.

Ein Radfahrer fährt an den Gleisen des Bahnhofs Canfranc entlang.
Der Geisterbahnhof Canfranc in Spanien hat 365 Fenster, eines für jeden Tag im Jahr. Der Lost Place ist für Besucher geöffnet. © Servidor web de Turismo de Aragón, Gobierno de Aragón, www.turismodearagon.com

Seit 170 Jahren symbolisiert der Bahnhof Canfranc den Wunsch der Aragonesen, aus ihrer Isolation auszubrechen. Lange Zeit und immer wieder stieß das Begehren, mittels der Bahn an die Welt angeschlossen zu werden, auf beiden Seiten der Pyrenäen auf taube Ohren. Außer ihnen wollte eigentlich nie jemand je diese Verbindung von Spanien nach Frankreich, was neben den klimatologischen Schwierigkeiten und dem unwegsamen Gelände wohl der Hauptgrund dafür ist, dass Canfranc so oft in der Vergessenheit versank und heute zu den Lost Places in Spanien gehört.

Bahnhof Canfranc: Durch Schnee und Eis von Spanien nach Frankreich

Die Franzosen setzten seit Mitte des 19. Jahrhunderts auf die Nordrouten von Paris über Irún nach Madrid und verwarfen die Pläne über diese kostspielige Trasse über und durch die Pyrenäen. In Spanien betrachtete das Militär stets argwöhnisch das Vorhaben, fürchtete man doch aufgrund der strategischen Lage eine Invasion über die Berge bis nach Zaragoza und ins Ebro-Tal. Erst als die Franzosen ihre geschäftlichen Interessen auf Oran und Algerien richteten, bündelten sich genug Kräfte und Interessen für diese mögliche und unmögliche dritte Route über die Berge nach Alicante* und Almería in Andalusien*.

Man nahm diese gewaltige Baumaßnahme in Spanien Angriff, dessen Funktionalität aufgrund der 1.200 Höhenmeter von Anfang an angezweifelt wurde. Wie sollte man im Winter eine Eisenbahn über Schnee, Eis und die Berge bringen? Die Trasse gipfelte im Bau des über 700 Meter langen Tunnels durch den Col du Somport oder Puerto de Somport. Aus dem Gestein, das man aus dem Berg hieb, baute ein Heer von Arbeitern die Trasse und den Bahnhof von Canfranc in das Bett eines Flusses hinein, der zuvor umgeleitet werden musste. Man schuf eine der damals wohl größten Bahnanlagen Europas unter widrigsten klimatologischen und topographischen Bedingungen. Um sie vor Lawinenabgängen zu schützen, pflanzten man über 7.000 Bäume in die Hänge, die das Tal umschlossen. Eine Bau- und Ingenieursleistung sondergleichen für eine Infrastruktur, die niemand wirklich wollte.

Bahnhof Canfranc verlor nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Glanz

Glanz und Gloria der Transpyrenäen-Eisenbahn erloschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Franco fürchtete die Wogen der Entnazifizierung und schüttete aus Angst vor den Alliierten den Tunnel von Somport zu und kappte den Zugverkehr von Spanien nach Pau und Frankreich. Und wieder hoppelten fünf Jahre lang Fuchs und Hase über die Schienen in den Pyrenäen. Als Canfranc wieder den Bahnverkehr aufnahm, trottete die Trasse in ihrer Auslastung und Entwicklung den Verbindungen im Norden über Irún und im Süden über La Junquera und Katalonien weit hinterher. In Frankreich fuhr die Bahn längst unter elektrischen Oberleitungen, in Spanien musste weiterhin der Kohleofen die Züge über Steigungen bringen, die Maße der Trassen unterschieden sich und letztendlich besiegelte die Höhenlage das Schicksal von Canfranc als Geisterbahnhof.

Im März 1970 scheiterte ein Güterzug aus dem französischen Pau an den Steigungen in den Pyrenäen, kam auf den vereisten Gleisen am Pass von Somport ins Schlittern, schoss eine Hang hinab und stürzte in den Fluss. Der französischen Regierung kam der Unfall wohl nicht ganz ungelegen. Ein guter Vorwand, die Trasse zu schließen. Und so geschah es, und sie geriet abermals in Vergessenheit. Manch ein Umweltschützer kramte sie hervor als ein Argument gegen den Bau des Straßentunnels. Half aber nichts. Im Jahr 2000 kamen zwar die spanische und französische Regierung überein, den Bahnhof Canfranc wieder zu öffnen. Seit 2006 sollten schon wieder Züge zwischen Spanien und Frankreich über Canfranc fahren, sogar der AVE. Die Trassen, die Pläne – alles liegt bereit und die Kosten je 80 Millionen Euro muteten stets überschaubar im Vergleich zu anderen Eisenbahnprojekten an. Die „Dame der Pyrenäen“ aber schlummert weiterhin als Lost Place in ihrem Dornröschenschlaf. *costanachrichten.com ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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