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Streit über den Abschuss von Wölfen

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Magdeburg/Hannover -  Von Simon Ribnitzky und Peer Körner. Viermal hat es Schäfer Torsten Kruse schon erwischt. Viermal hat ein Wolf im vergangenen Jahr seine Tiere in Sachsen-Anhalt angegriffen. Mitte Dezember wurden zwei Schafe auf der Weide in der Börde nahe Haldensleben gerissen.

"Der Wolf springt einfach über den Zaun", sagt Kruse. Dabei hat der Schäfer schon aufgerüstet, einen höheren Elektrozaun angebracht, Wachhunde angeschafft. Sachsen-Anhalts Wolfsbeauftragter Andreas Berbig hat sich die Situation vor Ort angeschaut. "Wir müssen überlegen, was wir da noch tun können, um wieder Ruhe zu bekommen", sagt er.

Nur was? Mehr als 70 Schafe sind dem Wolf allein im vergangenen Jahr in Sachsen-Anhalt zum Opfer gefallen. Berbig spricht von einer steigenden Tendenz, in Sachsen und Brandenburg sieht es nicht anders aus. Auch in Niedersachsen wurden 2016 wieder viele Nutztiere gerissen, doch könnte die Zahl nach Angaben des Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) gesunken oder zumindest konstant geblieben sein - trotz einer stetig wachsenden Wolfspopulation.

Etwa 120 Nutztiere getötet

Bis Ende November gab es 52 Vorfälle, bei denen der Wolf in Niedersachsen als Verursacher sicher oder mit hoher Wahrscheinlichkeit festgestellt wurde. Dabei wurden rund 120 Nutztiere getötet oder mussten später eingeschläfert werden. Dennoch: Verbesserte Schutzmaßnahmen der Tierhalter hätten sich ausgezahlt, heißt es bei NLWKN und Umweltministerium.

Fakt ist: Der Wolf - lange Zeit in Deutschland ausgerottet - kehrt zurück, die Zahlen steigen. Bundesweit gab es im abgelaufenen Monitoring-Jahr 2015/16 46 Wolfsrudel. In Niedersachsen geht die für das Wolfsmonitoring zuständige Landesjägerschaft von derzeit neun Rudeln aus. Insgesamt sollen dort mehr als 80 Tiere unterwegs sein, nicht alle zeigten sich so scheu wie von Experten erwartet.

Wolf Kurti
Wolf „Kurti“ wurde Ende April 2016 erschossen. © dpa

So wurde der im Internet liebevoll "Kurti" genannte Wolf MT6 aus dem Rudel bei Munster als bundesweit erster Wolf seit Rückkehr der Tiere legal getötet. Der Rüde wurde Ende April erschossen, nachdem er sogar den angeleinten Hund von Spaziergängern gebissen haben soll.

Weil: stärkere Regulierung des Wolfsbestandes 

Auch unter Niedersachsens Bauern werden die Wolfsgegner lauter. Bei der Debatte dürfe es keine Tabus mehr geben, forderte im November Eckehard Niemann, der Sprecher des Landesverbandes der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Niedersachsen/Bremen. "Ich wünsche mir, dass der Wolf dort, wo Weidehaltung bei uns praktiziert wird, nicht mehr vorkommt", sagte er. Auch das Landvolk hatte nach mehreren Wolfsrissen kürzlich vor dem Landtag in Hannover protestiert.

Und Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sprach sich erst vor kurzem für eine stärkere Regulierung des Wolfsbestandes in Niedersachsen aus. Bei Problemwölfen sollt es größere Spielräume geben, sagte er der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung". Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) forderte unlängst eine Überarbeitung der Vorschriften beim Umgang mit gefährlichen Wölfen. Diese müssten notfalls erschossen werden, wenn andere Maßnahmen versagten, sagte er der "Neuen Presse".

„Akzeptanz verloren gegangen"

"In weiten Teilen der Lüneburger Heide ist die Akzeptanz gegenüber dem Wolf in der Bevölkerung in beängstigender Weise verloren gegangen", sagt Helmut Dammann-Tamke, CDU-Abgeordneter im Landtag und Präsident der Landesjägerschaft. Die Jäger als Teil der Gesellschaft seien davon nicht ausgenommen.

"Zwei Dinge sind Fakt: Selbstregulierung des Wolfsbestandes über einen Mangel an Beute ist nicht in Sicht. Zweitens: Die natürliche Scheu des Wolfes vor dem Menschen ist nicht genetisch bedingt, sondern sie wird von Elterntieren anerzogen", sagt Dammann-Tamke. "Wenn wir die Akzeptanz für den Wolf in der Bevölkerung erhalten wollen, muss es oberstes Ziel sein, den Wölfen zu vermitteln: Halte dich fern vom Menschen und seinen Nutztieren."

Naturschützer halten es für sinnlos, Bestände durch Abschuss zu regulieren. "Wenn da aus einem Rudel ein Tier rausgeschossen wird, muss sich das ganz Rudel neu finden", sagt Christiane Schröder vom Naturschutzbund Brandenburg. Das bedeute: Ein älteres Tier habe gelernt, das Rudel vom Elektrozaun um eine Schafherde fernzuhalten. Werde dieses Tier geschossen, probiere das Rudel vielleicht wieder mehr aus.

"Die Debatten über eine Aufweichung des Schutzes sind unnötig", meint Ulrich Thüre vom Nabu Niedersachsen. "Wir fordern von der Politik ein klares Bekenntnis zum Schutz des Wolfes", betont er, sieht aber auch die Probleme der Landwirte. "Die Entschädigungen für Nutztierhalter müssen unbürokratischer geregelt werden - das ist für die Akzeptanz insbesondere bei Weidetierhaltern unerlässlich."

Schäfer Kruse hat zum Schutz seiner Tiere noch weitere Hunde angeschafft. "Schafe und Hunde müssen sich aber erst aneinander gewöhnen", sagt er. Immerhin: Seit er den jungen Rüden auf seinen beiden Weiden je einen erfahrenen Hund zur Seite gestellt hat, herrscht Ruhe vor dem Wolf. "Mal sehen, wie lange das gut geht."

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