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Vorbildlich oder gaga? - Hannover führt gendergerechte Sprache ein

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«Geschlechtergerechte Verwaltungssprache» Stadt Hannover
Friederike Kämpfe, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Hannover, zeigt einen Flyer «Empfehlungen für eine geschlechtergerechte Verwaltungssprache». Die niedersächsische Landeshauptstadt hat die Empfehlungen kürzlich veröffentlicht. © Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Hannover - Von Christina Sticht. In der niedersächsischen Landeshauptstadt wird nicht nur akzentfreies Deutsch gesprochen - die Verwaltung möchte auch keine Geschlechterklischees in der Sprache zementieren. Stirbt die Anrede „Sehr geehrte Damen und Herren" aus?

Der Lehrer, der Wähler und auch der Bauleiter haben bei der Stadt Hannover ausgedient - zumindest in E-Mails, Briefen, Formularen oder Drucksachen. Stattdessen soll von Lehrenden, Wählenden oder der Bauleitung die Rede sein. Die niedersächsische Landeshauptstadt will ihre Verwaltungssprache geschlechtergerecht gestalten und hat dazu eine verbindliche Empfehlung für ihre knapp 12 000 Beschäftigten herausgebracht. Das Aufregerthema löste prompt eine hitzige Debatte in den sozialen Medien aus: Die Kommentare reichten von „Vorreiter*in" bis zu „Die spinnen doch!".

Innerhalb des Rathauses habe es bisher nur positive Reaktionen und konstruktive Nachfragen gegeben, sagt Stadtsprecherin Ulrike Serbent. Die Aggressivität der vielen Anfeindungen von außen sei allerdings erschreckend. „Seit jeher wird emanzipatorischen Veränderungswünschen aus dem Gleichstellungsbereich mit Anfeindungen begegnet, vieles wird im Laufe der Zeit aber alltäglich", meint Hannovers Gleichstellungsbeauftragte Friederike Kämpfe. So benötigten Frauen heute keine Erlaubnis ihres Mannes mehr, um arbeiten zu gehen.

«Geschlechtergerechte Verwaltungssprache» Stadt Hannover
Ein Ausschnitt aus dem Flyer «Empfehlungen für eine geschlechtergerechte Verwaltungssprache» mit Beispielen für Pluralformen - fotografiert vor dem Neuen Rathaus. © Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Die neuen Sprachregelungen sollen schrittweise verwirklicht werden. „Es ist ein Prozess, niemand wird gezwungen", betont Serbent. Die Verwaltung möchte damit auch der "Vielzahl geschlechtlicher Identitäten" Rechnung tragen: Seit dem 1. Januar lässt sich in Deutschland im Personenstandsregister nicht nur „männlich" oder „weiblich", sondern auch das dritte Geschlecht „divers" eintragen.

In manchen Kontexten sei es (zurzeit noch) unangemessen, eine andere Anrede als „Sehr geehrte Damen und Herren" zu verwenden, heißt es in der neuen Broschüre der Stadt. Umgehen lasse sich dies aber oft durch „Guten Tag" oder „Liebe Gäste". Wenn möglich, sollen Formulierungen wie Redepult statt Rednerpult oder Teilnahmeliste statt Teilnehmerliste verwendet werden.

Genderstar auf dem Vormarsch

Gibt es keine Alternative, wird der Gender-Star empfohlen - zum Beispiel „der*die Ingenieur*in". Damit stellt sich Hannover an die Spitze der Gender-Bewegung - der Rat für deutsche Rechtschreibung empfahl im November noch, bei dem Thema erst einmal abzuwarten.

In der Vergangenheit ging es bei der geschlechtergerechten Sprache vor allem darum, Frauen nicht auszuschließen. Städte wie Flensburg, Tübingen und Leipzig entwickelten dazu einen Leitfaden, auch Hannover empfahl seit 2003 das sogenannte Binnen-I wie in „LehrerIn". Die gendergerechte Sprache wird vor allem an Hochschulen forciert. Diskutiert wird auch über Unterstriche oder Sternchen, die ebenso von Verbänden oder Politikern zunehmend benutzt werden.

Die Linguistin Gabriele Diewald findet den Vorstoß der hannoverschen Stadtverwaltung gut. „Das ist ein Statement, selbst wenn es in der Praxis schwierig wird", sagt die Forscherin von der Universität Hannover. Sprache sei im ständigen Wandel. Sie persönlich werde weiter das Binnen-I und nicht das Sternchen verwenden, aber: „In einer Demokratie gibt es Varianz." Der Berliner Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg ist dagegen ein erbitterter Gegner von Schreibweisen mit Binnen-I, Sternchen oder Tiefstrich. Für eine Gleichberechtigung der Frau seien keine Eingriffe in die Sprache notwendig, sagte er Ende 2018 der Deutschen Presse-Agentur.

Projekt bis auf 1.000 Euro kostenlos

Bei der Diskussion fragen sich viele, ob Hannover nicht andere Probleme hat. So ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Oberbürgermeister Stefan Schostok (SPD) wegen des Verdachts der Untreue. Fußballfans zittern mit Hannover 96, dem Verein droht der Abstieg aus der Bundesliga. Immerhin scheint das ambitionierte Projekt der geschlechtergerechten Sprache nicht mit immensen Kosten verbunden. Für Flyer und Postkarten wurden laut Verwaltung weniger als 1.000 Euro ausgegeben. „Ansonsten entstehen keine zusätzlichen Kosten", betont Stadtsprecherin Serbent.

dpa

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