Update vom 13. November, 15.40 Uhr: Die niedersächsischen Sicherheitsbehörden sind auf die mögliche Rückkehr von IS-Heimkehrern vorbereitet. Nach Angaben der Bundesregierung sollen diese Woche zehn Menschen aus der Türkei nach Deutschland gebracht werden, darunter eine Familie, die zuletzt dem salafistischen Milieu in Hildesheim zugerechnet wurde . Es sei noch völlig unklar, ob diese Familie tatsächlich zurück nach Niedersachsen kommen werde, sagte ein Sprecher des Innenministeriums in Hannover. Die Familie habe hier keinerlei Wohnsitz mehr. „Wir gehen davon, dass sich die Bundesbehörden um diese Personen kümmern“, sagte der Ministeriumssprecher.
Die Familie war nach Angaben der Bundesregierung Ende Januar in die Türkei eingereist und zwei Monate später in Abschiebehaft genommen worden. Über einen möglichen Aufenthalt der Familie im IS-Gebiet ist nichts bekannt.
Aus dem Landeskriminalamt hieß es, die niedersächsischen Sicherheitsbehörden seien aktuell mit möglichen Maßnahmen für den Fall befasst, dass IS-Rückkehrer nach Niedersachsen kommen sollten. Bei der Einreise nach Deutschland sei zunächst die Bundespolizei zuständig. Die Landespolizei werde dann im Einzelfall betrachten, welche Maßnahmen in puncto Gefahrenabwehr, Strafverfolgung oder Prävention nötig seien. Im Umgang mit Rückkehrern sei auch die Kompetenzstelle Islamismusprävention einer der maßgeblichen Akteure für eine Deradikalisierung. Wenn es um Kinder von IS-Rückkehrern gehe, seien auch die Jugendämter ganz wesentlich gefordert.
Originalartikel vom 13. November: Osnabrück - Der Osnabrücker Islam- und IS-Experte Michael Kiefer sieht aufgrund der von der Türkei angekündigten Abschiebung deutscher ehemaliger IS-Kämpfer vielschichtige Probleme auf die deutschen Behörden zukommen. „Das sind gewaltige Herausforderungen, weil jetzt innerhalb kurzer Zeit eine zwei- bis dreistellige Zahl von Personen einschließlich Frauen und Kindern nach Deutschland kommen könnten“, sagte Kiefer dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Bereits vor einem Jahr hätte die Bundesregierung beginnen können, die IS-Sympathisanten aus der Türkei und Nordsyrien geordnet und nach und nach zurückzuholen. Doch sie habe sich stets geweigert, kritisierte der Islamwissenschaftler der Universität Osnabrück: „Das rächt sich jetzt. Nun haben die Türken das Heft das Handelns in der Hand.“
Tausende ehemalige Kämpfer der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) sind laut Medienberichten in Lagern der Kurden in Nordsyrien und in der Türkei interniert, darunter bis zu 100 deutsche Männer und Frauen mit rund 100 Kindern. Weil Deutschland und auch andere europäische Staaten ihre Staatsbürger bislang nicht zurücknehmen wollten, hatte die türkische Regierung in der vergangenen Woche angekündigt, gefangen genommene IS-Kämpfer in ihre Heimatländer abzuschieben. Unter anderen soll an diesem Donnerstag eine siebenköpfige Familie, die aus Niedersachsen ausgereist war, abgeschoben werden.
Das große Problem sei, dass die deutschen Behörden bislang kaum Informationen über die zurückgeschickten Personen erhalten hätten, erläuterte Kiefer, der auch Projekte zur Radikalisierungsprävention wissenschaftlich begleitet. Jugendämter, Kitas und Schulen hätten keine Zeit, sich auf möglicherweise radikalisierte oder traumatisierte Familien einzustellen. Wenn etwa Eltern in Haft kämen, müssten die Kinder in Obhut genommen und an erfahrene Pflegeeltern oder Betreuungseinrichtungen vermittelt werden.
Wenn Familien nach wie vor radikalisiert seien, sei es schwer, sie mit Beratungsangeboten zu erreichen und die Kinder vor Indoktrinierung zu schützen. Allein die Tatsache, dass Eltern einer radikalen Ideologie anhingen, biete keine Handhabe, Kinder in Obhut zu nehmen, sagte Kiefer. Er sei skeptisch, ob etwa in ländlichen Gebieten Einrichtungen auf Rückkehrer vorbereitet seien, die nicht zur Kooperation bereit sind. Rückkehrer hätten aber, wenn sie nicht in Haft kämen, das Recht, ihren Wohnort frei zu wählen.
epd/dpa