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Niedersachsen stolpert durch die Krise

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Zwei Frauen sitzen nebeneinander. Eine hält ein Baby in den Händen, während die andere zwei rote Schühchen präsentiert.
Ein Treffen, das nun doch noch erlaubt ist: Nach massiven Protesten zählen Babys für die Kontaktbeschränkungen in Niedersachsen nicht mehr als eine Person. © IMAGo IMAGES / WeSTEND61

Von gerader Spur zum Schlingerkurs, falsche Informationen vom Ministerpräsidenten zum Schulstart, Nachsteuern in der Corona-Verordnung bei Babys und Kleinkindern, Schlusslicht bei der Impfquote und nun auch noch das Debakel um die Adressen für Impf-Briefe an über 80-Jährige: Niedersachsens Corona-Krisenmanagement läuft längst nicht mehr rund.

Hannover – Während Niedersachsen mit seinem Stufenplan für Lockerungen und einer klaren Corona-Linie bis zum Herbst vorigen Jahres mit vorbildlichem Krisen-Management glänzte, bröckelt und rumort es mittlerweile an immer mehr Stellen. Selbst der Koalitionspartner CDU hält sich mit seiner Kritik am Krisen-Management nicht länger zurück. Ein Blick auf die Probleme.

Der Schlingerkurs

Auf die Frage, ob das Land bei einem harten Lockdown mit Schul- und Geschäftsschließungen mitziehen würde, antwortet Anke Pörksen, Sprecherin von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), noch am 9. Dezember: „In den verschiedenen Regionen in Deutschland gibt es sehr unterschiedliche Infektionslagen. Selbstverständlich wird sich die Landesregierung bei weiteren Maßnahmen an der Situation in Niedersachsen orientieren.“ Die klare Botschaft damals: Niedersachsen geht seinen eigenen Weg. So will das Land die Schulen auch weiterhin bis zum 18. Dezember geöffnet lassen, hält zunächst nichts von einem bundesweiten Lockdown und sieht auch keinen Bedarf für einen weiteren Corona-Krisengipfel auf Bund-Länder-Ebene. Doch schon am nächsten Morgen erklärt die Landesregierung, dass gehandelt werden müsse, und kassiert nicht nur die geplanten Lockerungen bei den Kontaktbeschränkungen über Weihnachten und Silvester wieder ein, sondern teilt auch mit, dass die Schüler möglichst schon ab der darauffolgenden Woche zu Hause bleiben und ins Distanzlernen wechseln sollen. Die Opposition spricht von einem Schlingerkurs, und auch große Teile der Bevölkerung verstehen den sozusagen über Nacht erfolgten Sinneswandel nicht.

Verpatzter Schulstart

Ein weiteres Kommunikationsdebakel schließt sich gleich zu Beginn dieses Jahres an. Nach der Konferenz mit der Kanzlerin kündigt Ministerpräsident Weil zunächst eine zusätzliche Ferienwoche für Grundschüler an. Die Medien berichten am Abend zügig von der guten Nachricht für die Kleinen, um die Meldung wenig später wieder einzufangen: Denn als endlich die Erklärung aus dem Kultusministerium vorliegt, wird klar: Die Grundschüler erhalten keine zusätzliche Ferienwoche, sondern gehen zunächst ins Distanzlernen und dann wechselweise in Halbgruppen in die Schule.

Massive Kritik vom Bund

Für seine Schulstrategie fängt Niedersachsen sich massive Kritik vom Bund ein. Die Teil-Öffnung der Schulen – auch Abschlussklassen werden im sogenannten „Szenario B“ abwechselnd zu Hause und in der Schule unterrichtet – stößt im Bundeskanzleramt auf wenig Gegenliebe. „Die vorzeitige Schulöffnung ist sehr eindeutig gegen den Geist der Beschlüsse von Bund und Ländern“, erklärt der Staatsminister im Kanzleramt, Hendrik Hoppenstedt. Regierungssprecherin Pörksen weist die Kritik zurück: Das Vorgehen in Niedersachsen bewege sich „selbstverständlich innerhalb des zwischen Bund und Ländern vereinbarten Rahmens“.

Verzögerungen beim Impfstart

Niedersachsen war bisher beim Impfen langsamer als die anderen Bundesländer und bildete zwischenzeitlich sogar das bundesweite Schlusslicht. „Bei uns geht Sicherheit vor Schnelligkeit“, begründet Claudia Schröder, Vize-Chefin des Corona-Krisenstabs, die Verzögerungen und verweist darauf, dass Niedersachsen immerhin 50 Impfzentren zu bedienen habe. In Bayern, wo es deutlich flotter ging, sind es allerdings knapp 100. Eine wirklich plausible Erklärung für den schleppenden Start bleibt die Landesregierung bis heute schuldig. Immerhin holt das Land nun langsam auf. Im bundesweiten Vergleich belegt Niedersachsen mit 8,8 Impfungen pro 1000 Einwohner (Stand: 14. Januar) allerdings immer noch einen Platz im unteren Tabellenbereich vor Sachsen (8,5), Nordrhein-Westfalen (7,9), Baden-Württemberg (7,4) und Schlusslicht Thüringen (6,6). Den höchsten Wert weist Mecklenburg-Vorpommern mit 20,5 auf. Insgesamt zeigt die Statistik für Niedersachsen am 14. Januar 70.444 Impfungen.

Kontaktbeschränkungen für Kleinkinder und Babys

Kurz nach Inkrafttreten der aktuellen Corona-Verordnung kommt es noch am selben Tag zu einer Änderung, von der die Landesregierung trotz mehrerer Hinweise vorher nichts wissen wollte: So werden die Kontaktregeln für junge Eltern und ihre Kinder gelockert. Babys und Kleinkinder bis zu drei Jahren werden bei Besuchen nicht mehr mitgerechnet. Der niedersächsische Landkreistag wirft der rot-schwarzen Koalition in diesem Zusammenhang ein mangelhaftes Informationsmanagement vor. Die Landkreise beschweren sich vor allem über den „Zickzackkurs“ bei den Kontaktregeln. Der Landkreistag bemängelt auch, dass bei der Notbetreuung in den Kindertageseinrichtungen die ganze Verantwortung wieder vor Ort liege. „Wir haben zum wiederholten Male gefordert, dass das Land allgemein die Berufsgruppen festlegt, die prioritär solche Einrichtungen auch in Zeiten der zugespitzten Krise nutzen dürfen“, sagt Meyer. „Es ist ein Armutszeugnis, dass dies nicht gelungen ist.“

Kritik von der Opposition

Die Grünen im Landtag werfen der Landesregierung und vor allem Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) vor, den Kurs in der Coronakrise verloren zu haben. Weil lasse jede Strategie vermissen, moniert Grünen-Fraktionschefin Julia Willie Hamburg. Auch kritisiert sie die Regelungen für Kinder. Drei Tage lang wehre die Regierung die Argumente von Verbänden, Initiativen und aller vier Landtagsfraktionen ab, doch bitte Kinder von der strikten Einschränkung auszunehmen. Und dann komme direkt nach Inkrafttreten der Corona-Verordnung die Korrektur. „Diese Landesregierung verspielt zusehends das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Corona-Maßnahmen“, findet Hamburg und meint: „Es ist an der Zeit, dass der Ministerpräsident das Heft des Handelns konsequent in die Hand nimmt.“

Adresslisten für über 80-Jährige

Jüngstes Beispiel für das rumpelige Krisenmanagement ist, dass das Land knapp 30 000 Euro an eine Post-Tochter zahlt, um an die Adressen der über 80-Jährigen zu gelangen, die einen Impf-Brief erhalten sollen. Hinzu kommen Porto und Mehrwertsteuer. Dabei hatten die Kommunen ihre Unterstützung und den Zugriff auf die örtlichen und vollständigen Melderegister angeboten, während bei der erworbenen Adresskartei Lücken auftauchen dürften. Nach der Kritik wird es nun eine zweite Informationskampagne über die Kommunen geben. Diese sollen die alten Menschen über die ihnen zur Verfügung stehenden Meldedaten anschreiben, teilte das Ministerium Donnerstagnachmittag mit.

Schlechte Verteilung der Impfdosen

In manchen Kommunen herrscht überdies Unmut über die Verteilung der Impfdosen nach Einwohnerzahl statt nach der Anzahl der Altenheimplätze. Die Folge: Während einige Kommunen wie nun vorgesehen am 1. Februar mit dem normalen Betrieb in den Impfzentren loslegen können, dürften andere Kreise bis dahin nicht einmal mit den Impfungen in den Heimen durch sein.

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