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Akademie-Tagung zu Kloster und NS-Zeit hat Nachspiel

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Kirche und NS-Zeit im Kultur-Salon (v.l.): Jens Gundlach mit Berthold Schwarz, Heinrich Grosse und Martin Cordes. ·
Kirche und NS-Zeit im Kultur-Salon (v.l.): Jens Gundlach mit Berthold Schwarz, Heinrich Grosse und Martin Cordes. · © Foto: ade

Nienburg - Welche Rolle hat die Kirche zur Zeit des Nationalsozialismus gespielt? Welche Positionen haben einzelne Kirchenleute vertreten? Warum haben sie so gehandelt? Hätten sie anders handeln können?

Einiger Aspekte dieses riesigen Themenkomplexes hat sich der Theologe und Journalist Jens Gundlach mit einem Vortrag im Loccumer Kultur-Salon angenommen – um manche Positionen aus einer Tagung der Evangelischen Akademie Loccum vom vergangenen Jahr nicht einfach im Raum stehen zu lassen.

Dieser Abend hatte eine Vorgeschichte: So sehr habe er sich bei der Tagung der Evangelischen Akademie Loccum zum Kloster in der Zeit des Nationalsozialismus geärgert, sagte Berthold Schwarz, dass er spontan Jens Gundlach zu einem Vortrag eingeladen habe.

Jene Tagung liegt rund neun Monate zurück. Veranstaltet wurde sie innerhalb des Programms zur Feier von „850 Jahre Kloster Loccum“ – und hat damals nicht nur den pensionierten Pastor Berthold Schwarz geärgert.

Eine kritische Betrachtung von August Marahrens stand damals auf dem Programm, also eine Betrachtung jenes Geistlichen, der in der Zeit des Nationalsozialismus sowohl Landesbischof der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover als auch Abt zu Loccum war.

Zwiespältig ist das Verhältnis der Kirche zu diesem Bischof schon lange. Sehen manche ihn als denjenigen an, der es schaffte, die Kirche zu schützen und zu erhalten, so führen andere an, dass er ein Mitläufer war, der sich dem Regime beugte, es in mancher Beziehung gar unterstützte.

Dem Kirchenhistoriker Thomas Kück fiel während der Tagung die Aufgabe zu, einen Vortrag über Marahrens zu halten. Marahrens habe sich an Luthers Aussage gehalten, dass der Staat eine Ordnung Gottes sei, der man sich zu fügen habe, sagte Kück etwa, und schloss seinen Vortrag mit der Frage, ob der Bischof die realistische Möglichkeit gehabt habe, anders zu handeln – und wenn ja: wie?

Was mehr als rhetorische Frage gedacht war, rief Jens Gundlach auf den Plan: Marahrens sei zu milde gezeichnet worden, sagte er. Wo seien solche Begebenheiten wie der Brief geblieben, den er Anfang der 1930er-Jahre an Hitler schrieb und in dem er ihm seine Verbundenheit versicherte? Wo ist erwähnt, dass Marahrens verkündete, das evangelische Gesangbuch sei „fast judenrein“? Und was – bitte schön – habe Marahrens für Juden und politische Häftlinge getan?

„Abgebügelt“ worden sei Gundlach an dieser Stelle, sagt Berthold Schwarz, das Wort sei ihm entzogen worden. Zum einen von Kück, der sich darauf zurückzog, dass der Abt zu Loccum sein Vortragsthema gewesen sei. Zum anderen vom jetzigen Abt Horst Hirschler, der Marahrens als „alten Deutsch-Nationalen“ bezeichnete und auf die damalige „verrückte andere Zeit“ verwies.

So weit zur Vorgeschichte. Die Redezeit, die Gundlach im Kloster nicht bekommen hatte, wollte Schwarz ihm geben und nutzte dafür den Kultur-Salon. Ein Kreis von Kultur-Interessierten trifft sich dort gelegentlich zu Vorträgen und anderem, an diesem Abend reichten die Stühle in Schwarz‘ Bibliothek kaum aus.

Nach den Entschuldigungen Hirschlers, dass die Kirche damals nicht viel anders gekonnt habe, und den Ausführungen Kücks, der eine zeitweilige Abwesenheit Gottes angeführt habe, werde er Fakten vortragen, sagte Gundlach. Fakten bezog er unter anderem aus seiner Dissertation zu Heinz Brunotte, der von 1936 bis 1946 als Oberkonsistorialrat in der Kirchenkanzlei der EKD arbeitete, ein enger Vertrauter von Marahrens war und ihm manches Mal auch richtungsweisend zur Seite stand. Billigung wie auch Unterstützung des Staates, die beide Männer leisteten, wogen angesichts Gundlachs Ausführungen zu anderen Kirchenleuten, die sich sehr wohl dem Regime widersetzt hatten, umso schwerer. Dass Marahrens nicht anders gekonnt habe, zog Gundlach stark in Zweifel.

Eingangs hatte Schwarz gesagt, dass die Landeskirche grundsätzlich Schwierigkeiten habe, wenn es um August Marahrens gehe. Das scheint so zu sein. Insbesondere, wenn zwei Veranstaltungen zu einem Thema – wie die Tagung im Kloster und der Vortrag im Kultur-Salon – einander gegenübergestellt werden. Auf der einen Seite die Aussagen Kücks und Hirschlers, auf der anderen die Ausführungen Gundlachs – der keineswegs mit seinen Ansichten allein dasteht.

In der anschließenden Diskussionsrunde saßen mit den Professoren Heinrich Grosse und Martin Cordes zwei gestandene Theologen neben ihm und verstärkten seine Ausführungen nur noch.

„Wir sind mit der Aufarbeitung noch lange nicht durch“, sagte Fritz Erich Anhelm – als Zuhörer bei dem Vortrag und bis vor einigen Jahren Direktor der Loccumer Akademie – in dieser Diskussion.

Stephan Schaede, jetziger Direktor der Akademie und Moderator bei der Tagung im Kloster, hat unterdessen verlauten lassen, eine weitere Tagung zum Thema Kirche und Kloster zur Zeit des Nationalsozialismus anbieten zu wollen. Für das kommende Jahr plant er dieses. Das Interesse daran dürfte groß sein. · ade

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