Wladimirow, der von Beruf Landarbeiter war und aus dem Dorf Madras stammte, 400 Kilometer von Moskau entfernt. 31 Jahre war er alt, als er Soldat wurde – nachdem am 22. Juni 1941 der Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion begonnen hatte. Wenig mehr als einen Monat später geriet er im heutigen Estland in Gefangenschaft. Vier Monate später, am 3. November 1941, kam er gemeinsam mit 47 Leidensgenossen in den Rehburger Forst. Sechs Wochen später war er tot.
Wladimirow ist einer der Toten des ersten Winters im Lager. „Anfang Februar gab es erstmals einen Transport zum Lazarett in Wietzendorf“, erzählt Brunschön. 23 Männer, von denen bald darauf nur noch vier lebten. Ruhr und Entkräftung sind bei einigen als Todesursache angegeben. Weitaus mehr haben lediglich einen Stempel auf ihre Personalkarte bekommen: Während der Quarantäne-Zeit unbekannt verstorben. „Ein deutliches Zeichen für die Geringschätzung der Nazis gegenüber den Russen“, sagt Brunschön. Nicht einmal ein Todesdatum waren sie ihnen wert.
Das Massensterben der jungen Männer kann durch Seuchen erklärt werden. Durch Unterernährung. Und auch dadurch, dass sie zu Beginn eines harten Winters in einem Lager abgeladen wurden, das kein Lager war. Die Baracken sollen zu jenem Zeitpunkt noch nicht gestanden haben. Im Freien oder in Erdhöhlen nächtigend, tagsüber zur Arbeit in Forst und Moor angetrieben. Starben Gefangene, so kamen neue nach.
Die jüngste Lagerliste, die der Arbeitskreis gefunden hat, ist im Februar 1945 aufgestellt worden. Ob das Lager im April jenes Jahres, als die Alliierten in Rehburg einzogen, einfach aufgelöst wurde? Ob es von den durchziehenden Briten befreit wurde? Fragen, zu denen noch recherchiert wird.
Einer derjenigen, die sich zum Graben im Waldboden auf die Knie niedergelassen haben, ist Eike Heymer. 84 Jahre alt, 1945 als Flüchtling nach Rehburg gekommen. Er erinnert sich, dass es im Ort „Russenlager“ genannt wurde und daran, um 1946 mit einem Freund zu dem Lagerplatz gegangen zu sein. Damals, sagt er, stand schon kein Gebäude mehr, waren die Mauerreste überwuchert. Wer das Lager abgetragen hat? Auch das ist noch ein Rätsel.
Nicht ganz so rätselhaft ist mittlerweile die Aufteilung des Lagers. Das 28 Quadratmeter große Gebäude, das Mitglieder des Arbeitskreises freigelegt haben, ist nur ein winziger Teil davon. Rund 100 Meter lang und 40 Meter tief. Das hat Reimann als Grundfläche identifiziert und hat auch eine ungefähre Vorstellung von der Lage der Gebäude.
„Ein Denkmal“, sagt Archäologe Lau mit Blick auf das Gelände. Auch wenn im Boden nicht viel mehr als Mauerreste und Stacheldraht schlummern. Schützenswert. Archäologisch und geschichtlich wertvoll. Lau weist daraufhin, dass jede Form von Grabung, jeder Rundgang mit einem Metalldetektor von der Kommunalarchäologie genehmigt sein muss. Jeder andere Eingriff kann Spuren vernichten. „Es geht uns um die würdige Auseinandersetzung mit dem Ort und den Menschen“, fügt Arndt-Sandrock hinzu.
Noch in diesem Jahr sollen die Grabungen fortgesetzt und erste Ergebnisse ausgewertet werden. Die Recherchen im Arbeitskreis laufen ohnehin weiter. Eines der nächsten Ziele ist es, Angehörige der Toten aus dem Forst ausfindig zu machen. Um ihnen ein Gesicht, eine Geschichte zu geben.
Das Stichwort von Lau „Denkmal“ will der Arbeitskreis diskutieren. Wie soll, wie kann mit diesem Denkmal umgegangen werden? Publikationen, Info-Tafel und Vorträge sind im Gespräch. Brunschön träumt von einem Konzept für Schulen, gar von einem Lernort. Dann rufen Christiane Henne und Ulrich Helms aus dem Hintergrund. Sie haben die Überreste eines Löffels gefunden. Es gibt noch viel zu tun. Ob mit Schweiß im Gesicht beim Wühlen im Waldboden oder am Schreibtisch und in Archiven.