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Denkmal „Russenlager“ im Rehburger Forst wird erforscht

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Regina Brunschön, Gabriele Arndt-Sandrock und Christiane Henne am Lager im Rehburger Forst.
Jenseits der Schreibtisch-Recherche: Regina Brunschön, Gabriele Arndt-Sandrock und Christiane Henne am Lager im Rehburger Forst. Ronald Reimann und Daniel Lau begleiten die Ehrenamtlichen bei den Ausgrabungen. © Ney-Janßen, Beate

Zum 80. Jahrestag des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion am kommenden Dienstag, 22. Juni, berichtet die Journalistin Beate Ney-Janßen über die Aufarbeitung der Geschichte des „Russenlagers“ im Rehburger Forst.

Rehburg - von Beate Ney-Janßen. Es muss eine der vielen Höllen gewesen sein, die die Nationalsozialisten geschaffen haben: Das Lager mit der Nummer 5790, das im November 1941 im Rehburger Forst für sowjetische Kriegsgefangene eingerichtet wurde. Der Arbeitskreis Stolpersteine Rehburg-Loccum hat mit der Aufarbeitung der Geschichte dieses Lagers begonnen. Ein Beitrag zum 80. Jahrestag des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion.

„25 Gefangene sind allein in den ersten drei Monaten hier gestorben“, sagt Regina Brunschön und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Mit Handfeger und Kehrblech steht sie mitten im Wald. Dort, wo von 1941 bis 1945 das „Kommando 5790“ gewesen ist. Um sie herum wird gearbeitet. Mitglieder des Arbeitskreises fegen, graben, räumen beiseite. Den Grundriss eines kleinen Gebäudes haben sie innerhalb einer Woche freigelegt. Sieben mal vier Meter groß. Fundamente, Mauerreste, Kamine und Reste des Bodenbelags haben sie gefunden. Der Zweck dieses Gebäudes? Noch unklar. Die Küche könne es gewesen sein, sagt Daniel Lau. Oder die Wachkammer.

Fundamente, Ziegelreste, ein Kamin.
Fundamente, Ziegelreste, ein Kamin – welchem Zweck das kleine freigelegte Gebäude diente, weiß der Arbeitskreis Stolpersteine noch nicht. © Ney-Janßen, Beate

Metallischer Klang beim Graben

Lau ist Kommunalarchäologe der Schaumburger Landschaft und unterstützt die Ehrenamtlichen des Arbeitskreises. Ehrenamtlich und als Beauftragter der Denkmalpflege ist auch Ronald Reimann dabei. Gerade wird er von Gabriele Arndt-Sandrock gerufen: Metallischer Klang beim Graben. Da sind Reimanns Sachverstand und Metalldetektor gefordert.

Das Metall windet sich in viele Richtungen. Ein Stück von dem Stacheldraht, der vermutlich das gesamte Gelände einzäunte. Das abgebrochene Stück eines Begrenzungspfostens hatte Arndt-Sandrock bereits freigelegt. Wichtige Funde für den Arbeitskreis. Was kann das Grauen dieses Lagers besser symbolisieren?

„Nach der jüdischen Gemeinde und den Opfern der Euthanasie wollen wir uns nun mit Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern unserer Stadt auseinandersetzen“, berichtet Arndt-Sandrock. Über alle fünf Ortsteile verteilt wisse der Arbeitskreis mittlerweile von neun Lagern.

Die Recherchen zu dem Lager im Forst sind also erst der Anfang. Ein weites Feld und ein Glücksfall, weil noch Überreste im Boden liegen und weil Lau und Reimann begeistert waren von dem Plan, dieses Kapitel der jüngeren Geschichte aufzugreifen.

Eike Heymer ist erstmals kurz nach Kriegsende zu dem Lager im Wald gegangen.
Eike Heymer ist erstmals kurz nach Kriegsende zu dem Lager im Wald gegangen. Damals, berichtet er, habe bereits kein Gebäude mehr gestanden. © Ney-Janßen, Beate

Schicksale von Gefangenen gesammelt

Dem Freilegen im Waldboden hat Brunschön umfangreiche Recherchen vorangehen lassen. Anhand vorhandener Lagerlisten hat sie eine russische Gedenkseite durchforstet und Fragmente von Schicksalen der Gefangenen gesammelt. Wie dem von Andrej Wladimirow.

Wladimirow, der von Beruf Landarbeiter war und aus dem Dorf Madras stammte, 400 Kilometer von Moskau entfernt. 31 Jahre war er alt, als er Soldat wurde – nachdem am 22. Juni 1941 der Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion begonnen hatte. Wenig mehr als einen Monat später geriet er im heutigen Estland in Gefangenschaft. Vier Monate später, am 3. November 1941, kam er gemeinsam mit 47 Leidensgenossen in den Rehburger Forst. Sechs Wochen später war er tot.

Wladimirow ist einer der Toten des ersten Winters im Lager. „Anfang Februar gab es erstmals einen Transport zum Lazarett in Wietzendorf“, erzählt Brunschön. 23 Männer, von denen bald darauf nur noch vier lebten. Ruhr und Entkräftung sind bei einigen als Todesursache angegeben. Weitaus mehr haben lediglich einen Stempel auf ihre Personalkarte bekommen: Während der Quarantäne-Zeit unbekannt verstorben. „Ein deutliches Zeichen für die Geringschätzung der Nazis gegenüber den Russen“, sagt Brunschön. Nicht einmal ein Todesdatum waren sie ihnen wert.

Seuchen, Unterernährung und Kälte

Das Massensterben der jungen Männer kann durch Seuchen erklärt werden. Durch Unterernährung. Und auch dadurch, dass sie zu Beginn eines harten Winters in einem Lager abgeladen wurden, das kein Lager war. Die Baracken sollen zu jenem Zeitpunkt noch nicht gestanden haben. Im Freien oder in Erdhöhlen nächtigend, tagsüber zur Arbeit in Forst und Moor angetrieben. Starben Gefangene, so kamen neue nach.

Die jüngste Lagerliste, die der Arbeitskreis gefunden hat, ist im Februar 1945 aufgestellt worden. Ob das Lager im April jenes Jahres, als die Alliierten in Rehburg einzogen, einfach aufgelöst wurde? Ob es von den durchziehenden Briten befreit wurde? Fragen, zu denen noch recherchiert wird.

Einer derjenigen, die sich zum Graben im Waldboden auf die Knie niedergelassen haben, ist Eike Heymer. 84 Jahre alt, 1945 als Flüchtling nach Rehburg gekommen. Er erinnert sich, dass es im Ort „Russenlager“ genannt wurde und daran, um 1946 mit einem Freund zu dem Lagerplatz gegangen zu sein. Damals, sagt er, stand schon kein Gebäude mehr, waren die Mauerreste überwuchert. Wer das Lager abgetragen hat? Auch das ist noch ein Rätsel.

Mauerreste und Stacheldraht im Boden

Nicht ganz so rätselhaft ist mittlerweile die Aufteilung des Lagers. Das 28 Quadratmeter große Gebäude, das Mitglieder des Arbeitskreises freigelegt haben, ist nur ein winziger Teil davon. Rund 100 Meter lang und 40 Meter tief. Das hat Reimann als Grundfläche identifiziert und hat auch eine ungefähre Vorstellung von der Lage der Gebäude.

„Ein Denkmal“, sagt Archäologe Lau mit Blick auf das Gelände. Auch wenn im Boden nicht viel mehr als Mauerreste und Stacheldraht schlummern. Schützenswert. Archäologisch und geschichtlich wertvoll. Lau weist daraufhin, dass jede Form von Grabung, jeder Rundgang mit einem Metalldetektor von der Kommunalarchäologie genehmigt sein muss. Jeder andere Eingriff kann Spuren vernichten. „Es geht uns um die würdige Auseinandersetzung mit dem Ort und den Menschen“, fügt Arndt-Sandrock hinzu.

Im Waldboden haben Mitglieder des Arbeitskreises Stolpersteine Stacheldraht entdeckt.
Symbolhaft für das Gefangenenlager: Im Waldboden haben Mitglieder des Arbeitskreises Stolpersteine Stacheldraht entdeckt. © Ney-Janßen, Beate

Noch in diesem Jahr sollen die Grabungen fortgesetzt und erste Ergebnisse ausgewertet werden. Die Recherchen im Arbeitskreis laufen ohnehin weiter. Eines der nächsten Ziele ist es, Angehörige der Toten aus dem Forst ausfindig zu machen. Um ihnen ein Gesicht, eine Geschichte zu geben.

Das Stichwort von Lau „Denkmal“ will der Arbeitskreis diskutieren. Wie soll, wie kann mit diesem Denkmal umgegangen werden? Publikationen, Info-Tafel und Vorträge sind im Gespräch. Brunschön träumt von einem Konzept für Schulen, gar von einem Lernort. Dann rufen Christiane Henne und Ulrich Helms aus dem Hintergrund. Sie haben die Überreste eines Löffels gefunden. Es gibt noch viel zu tun. Ob mit Schweiß im Gesicht beim Wühlen im Waldboden oder am Schreibtisch und in Archiven.

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