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Hoyaer berichtet: Als Hitler aus der Ehrenloge flüchtete

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Günter Fehse (93) schilderte am Dienstagabend die Begegnung seines Vaters mit Jesse Owens. - Foto: Horst Friedrichs
Günter Fehse (93) schilderte am Dienstagabend die Begegnung seines Vaters mit Jesse Owens. © Horst Friedrichs

Hoya - Von Horst Friedrichs. Olympiastadion Berlin, 1936: Ein schwarzer Amerikaner steigt auf das Siegertreppchen. Hitler und sein Gefolge in der Regierungsloge erstarren. Im nächsten Moment suchen die Nazi-Oberen fluchtartig das Weite, und in der leeren Loge bleibt ein fassungsloser Mann zurück. Er war für die Betreuung der Tribünengäste zuständig.

Am Abend, zu Hause, erzählt er seiner Frau und den Kindern davon und schärft ihnen ein: „Darüber dürft ihr niemals reden. Sonst holt uns alle die Gestapo ab.“ Sie haben den Rat des Vaters befolgt, denn sonst hätte Günter Fehse, damals 12, heute 93 Jahre alt, am Dienstagabend vielleicht nicht vor dem Publikum im Filmhof Hoya gesessen und die Episode aus dem Jahr 1936 erzählt.

Als Zeitzeuge leistete er einen eindrucksvollen Beitrag zum Filmprogramm, schilderte er doch neben dem Geschehen in Hitlers Loge auch eine persönliche Begegnung seines Vaters mit dem amerikanischen Ausnahme-Athleten Jesse Owens (1913-1980). Owens errang Weltruhm als vierfacher Goldmedaillengewinner von Berlin. Jetzt gibt es einen neuen Spielfilm über ihn: „Zeit für Legenden“. Im Rahmen der Kinoreihe „Kirche und Film“ lief die kanadisch-deutsche Produktion am Mittwochabend im Filmhof Hoya.

Pastor Andreas Ruh war mit Günter Fehse während einer Busfahrt für Senioren ins Gespräch gekommen. Fehse ist gebürtiger Berliner und lebt seit 1953 in Hoya. Während der Senioren-Busfahrt hatte er Ruh von den Erlebnissen seines Vaters im Berliner Olympiastadion erzählt. „Ich war damals zwölf Jahre alt und habe diese Zeit ganz bewusst miterlebt“, erzählte Günter Fehse am Dienstag dem Filmhof-Publikum.

Ein eindrucksvolleres und passenderes Vorprogramm zum Film „Zeit für Legenden“ hätte es kaum geben können. Günter Fehse versetzte die Kinobesucher in eine Situation, die damals nur wenige mitbekommen hatten. Fehses Vater war 1936 in Berlin Angestellter beim Reichsbund für Leibesübungen; wie seine Kollegen auch, musste er bei der Olympiade im Stadion mithelfen. Günter Fehse: „Mein Vater erhielt die Aufgabe, die Regierungsloge zu betreuen – also ganz dicht neben Hitler und seinem Stab. Er musste die Wünsche dieser Herren erfüllen, zum Beispiel Programmhefte besorgen.“

Direkt vor der Regierungsloge war das Siegertreppchen für die Medaillengewinner aufgebaut. An dem Tag, dem 3. August 1936, als Jesse Owens seine erste Goldmedaille gewann, spielte sich jenes Geschehen ab, das sich dank der Berichte seines Vaters in Günter Fehses Gedächtnis eingebrannt hat: „Als die amerikanische Nationalhymne erklang, hätten Hitler und seine Größen ja aufstehen müssen, um ihm die Ehre zu erweisen. Doch der Diktator gab seinen Begleitern einen Wink, und die gesamte Regierung verließ auf der Stelle die Loge und das Stadion.“

Günter Fehse erinnert sich noch genau an die Ermahnungen seines Vaters: „Wir mussten ihm hoch und heilig versprechen, dass wir niemandem etwas davon erzählen.“ Vom selben Tag an, so sagt Günter Fehse weiter, war der Glaube seines Vaters an den Nationalsozialismus vorbei. Und: „Wenige Tage später kam er freudig nach Hause und erzählte: ,Heute habe ich Jesse Owens im Stadion getroffen und mit ihm ein längeres Gespräch geführt.‘ Mein Vater schwärmte davon, was Owens doch für ein freundlicher und netter Kerl war.“

Der Film schildert einen Ausschnitt aus dem Leben des berühmten Leichtathleten – weniger die sportliche Seite als vielmehr persönliche Aspekte, insbesondere den Rassismus der damaligen Zeit betreffend. Beispielhaft dafür mag eine Schlüsselszene sein, die Jesse Owens bei der Rückkehr in die USA erlebte. Dort musste er als Hauptperson der Siegesfeier zu seinen Ehren das Hotel durch den Personaleingang betreten.

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