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Lernen, nicht perfekt sein zu müssen

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Katrin Fedler und ihre neue Kollegin Kerstin Brunegraf stellen das neue Programmheft der Koordinierungsstelle vor.  -  Foto: Kreykenbohm
Katrin Fedler und ihre neue Kollegin Kerstin Brunegraf stellen das neue Programmheft der Koordinierungsstelle vor. - Foto: Kreykenbohm © -

Nienburg - Die junge Frau hält auf dem Parkplatz, steigt aus und will schnell in den Supermarkt laufen. Da stürmt ein älterer Mann auf sie zu und beschimpft sie wild: „Sie dürfen hier nicht parken!“ Die junge Frau weiß kaum, wie ihr geschieht. Sie steht da, völlig überrumpelt, lässt die Tirade über sich ergehen, entschuldigt sich unter der Last der Vorwürfe sogar noch, steigt ins Auto und fährt zu einem anderen Platz. Doch noch während sie im Wagen sitzt, wird ihr bewusst, dass sie sich völlig falsch verhalten hat, denn sie hatte absolut korrekt geparkt. Und nun fallen ihr auch tausend Dinge ein, die sie dem Fremden hätte sagen können, aber – der Moment ist schon vorbei und die junge Frau bleibt wütend zurück.

Offenbar erleben viele Frauen im Landkreis Nienburg solche frustrierenden Situationen im Alltag und im Beruf, in denen sie gern passend kontern würden, aber im entscheidenden Augenblick wie blockiert sind, denn die Rhetorik-Seminare, die die Koordinierungsstelle „frau+wirtschaft“ in Nienburg im vergangenen Jahr angeboten hatte, waren nicht nur komplett ausgebucht, es gab sogar eine Warteliste. „Alles, was mit Sprechen und sich wehren zu tun hat, wurde gut angenommen“, berichtet Leiterin Katrin Fedler sichtlich stolz.

Das Jahr 2016 sei unglaublich positiv verlaufen. 115 Frauen kamen in die Beratungen und nochmal so viele in die Seminare. Viele Frauen, die bei der Koordinierungsstelle Rat suchten, haben eine Arbeit gefunden. Andere kommen in diesem Jahr als Dozentinnen oder fragen bereits, wann neue Senminare angeboten werden. „Eine Frau, die bei uns war und heute eine wichtige öffentliche Position bekleidet, sagte mir, dass sie sich vorher nie um diesen Job beworben hätte, weil sie sich gar nicht getraut hätte“, so Fedler. Rückmeldungen wie diese habe es zahlreiche gegeben. Das wiederum motiviert Fedler und ihre Kolleginnen.

Bei den Seminaren der Koordinierungsstelle geht es darum, Frauen fit für den Einstieg oder auch Wiedereinstieg ins Berufsleben zu machen. Sie sollen sich ihrer Stärken und Fähigkeiten bewusst werden, Selbstvertrauen aufbauen und Techniken erlernen, sich zu behaupten. Auch Bewerbungstraining gehört dazu.

In diesem Jahr plant die Koordinierungsstelle einige Neuerungen. So soll es einen weiteren Schwerpunkt geben, der auf Frauen mit Fluchtgeschichte liegt. Extra dafür wird am 13. Februar eine neue Kollegin an der Koordinierungsstelle beginnen. Außerdem wagen Fedler und ihre Mitstreiterinnen den Schritt aus der Stadt heraus. „Beratungen haben wir bereits im vergangenen Jahr in anderen Teilen des Landkreises angeboten, und die waren immer ausgebucht. Aber nun wollen wir auch mit einigen Seminaren zu den Leuten kommen, damit sie nicht immer gezwungen sind, nach Nienburg zu fahren“, kündigt Fedler an und lächelt. „Wir schauen mal, wie das läuft.“

Insgesamt werden 41 Seminare angeboten, das sei „umfangreich wie nie“. Die Themen seien meist direkt aus den Beratungen gezogen, also an dem orientiert, was die Frauen brauchen oder wünschen. Dazu zählen sowohl Klassiker wie das Schreiben einer Bewerbungsmappe oder der Umgang mit Kritik, aber auch Neues wie „Perfektionismus – gut ist besser als perfekt, bestimmen Sie Ihre eigenen Maßstäbe“ gehört dazu. „Eine typische Schwäche von Frauen ist, immer alles perfekt machen zu wollen, im Beruf und privat. Das raubt Zeit und Energie – und zufrieden sind sie am Ende meist trotzdem nicht“, weiß Fedler. Kurzum: Im KIeinreden sind Frauen ganz groß.

Ebenfalls neu ist das Seminar zur „Stimmbildung“, das von Roman Materi, Leiter der Musikschule Music-Art in Nienburg, als erstem männlichen Dozenten an der Koordinierungsstelle angeboten wird.

Zudem soll ein Mentoring-Programm initiiert werden, bei dem jeweils einer Frau, die eine Arbeit sucht, eine Frau als Mentorin zur Seite gestellt wird, die bereits im Berufsleben steht. Mentor und Mentee treffen oder sprechen sich einmal im Monat und tauschen sich aus. Der Gedanke dahinter ist, dass Frauen sich gegenseitig unterstützen und so auch Netzwerke entstehen.

Alle Seminare sowie das Mentoring-Programm sind kostenlos, weil die EU die Koordinierungsstelle zu 85 Prozent fördert und die übrigen 15 Prozent durch Ko-Finanzierung getragen werden. Besonders froh ist Katrin Fedler, dass die EU zugesichert hat, die Förderung für die kommenden zwei Jahre aufrecht zu erhalten. „Normalerweise bekamen wir immer nur eine Zusicherung für ein Jahr. Nun können wir weiter in die Zukunft planen, uns Gedanken über das Programm 2018 machen – und es ist auch eine Wertschätzung unserer Arbeit.“

Von Julia Kreykenbohm

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