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Lernen, wo die eigenen Grenzen sind

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Dorothea Wolff und Hans Aderhold helfen Angehörigen von Suchtkranken seit 25 Jahren in Nienburg.
Ein Team seit 25 Jahren: Dorothea Wolff und Hans Aderhold. © Paritätischer Nienburg

Nienburg. Sie sind ein Team seit 25 Jahren: Hans Aderhold und Dorothea Wolff. Der Suchttherapeut und die ehemalige Krankenschwester leiten gemeinsam beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Nienburg die Selbsthilfegruppe der Angehörigen von Suchtkranken.

Eine Gruppe, die seit Oktober 1990 ununterbrochen besteht. Das ist nicht unbedingt alltäglich, und darauf sind die beiden stolz. Im Frühjahr 1990 begann Hans Aderhold in der Fachstelle Sucht beim Paritätischen seinen Dienst, ein halbes Jahr später war mit Dorothea Wolff eine engagierte Partnerin gefunden. Sie, die lange Jahre eigenen Erfahrungen mit einem Suchtkranken ausgesetzt war, weiß: „Angehörige wollen, müssen sich austauschen, um nicht selbst unterzugehen.“ Es sind Angehörige, die „einfach fertig sind, am Boden“, wie Hans Aderhold es ungeschönt ausdrückt.

Alkohol, Drogen, Spiel- oder Medikamentensucht: Die Palette der Süchte ist vielfältig. Nicht der Süchtige allein ist ihnen verfallen. „Die Problematik der Co-Abhängigkeit ist von zentraler Bedeutung“, betont Hans Aderhold. Das gelte für die Betroffenen und ihre Angehörigen ebenso wie für Freunde und Arbeitskollegen, aber auch für die Behandelnden, also Therapeuten, Pflegepersonal, die Mitglieder von Selbsthilfegruppen. „Jeder, der mit Suchtkranken zusammenlebt oder -arbeitet, ist in Gefahr, ein co-abhängiges Verhalten zu entwickeln“, betont der Therapeut und verstärkt: „Vater, Mutter, Kinder, Großeltern – in einer Familie sind alle prädestiniert für eine Co-Abhängigkeit.“

Angehörige, Freunde, Arbeitskollegen werden zu Komplizen des Suchtkranken, indem sie ihn schützen, seine Fehler entschuldigen, vertuschen und decken. „Damit unterstützen sie seine Sucht und zögern den Zeitpunkt hinaus, an dem der Abhängige zu der Einsicht gelangt, dass er etwas gegen seine Sucht unternehmen muss“, erklärt Hans Aderhold. Co-Abhängige möchten alles tun, um zu helfen, „aber aus Liebe und falsch verstandener Hilfeleistung bewirken sie das Gegenteil“, nennt der Suchttherapeut ein Beispiel: „Die Frau ruft beim Arbeitgeber an, ihr Mann habe Grippe, der aber liegt besoffen im Bett.“ Dadurch, dass sie ihn schützt, verlängere sie seine Erkrankung. „Suchtkranke tun erst dann etwas gegen die Krankheit, wenn die Nachteile die Vorteile überwiegen“, erklärt er. „Doch niemals etwas androhen, ohne es einzuhalten“, nennen Hans Aderhold und Dorothea Wolff eine wichtige Regel, die

die Teilnehmer ihrer Angehörigengruppe lernen.

„Helfen, aber wissen, wo die eigenen Grenzen sind“, ist eine weitere Regel. Und wieder eine andere besagt: „Mach’ das, was dir selber gut tut.“ Mit der aber könnten die Teilnehmer zunächst nichts anfangen. Viel zu lange schon hat das eigene Selbstwertgefühl gelitten, viele haben sich schon fast aufgegeben, ehe sie den Mut zur Gruppe finden. Erst nach und nach wird im Kreise der anderen Leidensgenossen spürbar, wie ein Prozess in Gang kommt, der die oft völlig verunsicherten Menschen allmählich aufbaut, stabilisiert, sie wieder zu sich selbst finden lässt. „In der Regel braucht es sechs bis zehn Jahre, ehe Suchtkranke und Angehörige bereit sind, Hilfe anzunehmen“, weiß Dorothea Wolff. Doch gebe es durchaus auch Co-Abhängigkeiten, die bis zu vier Jahrzehnte und länger andauern könnten.

Menschen aus Stadt und Landkreis Nienburg, aber auch weit über Nienburgs Kreisgrenzen hinaus, finden seit 25 Jahren den Weg in die Angehörigengruppe. 25 Jahre, die von Erfolg gekrönt sind. „Wir haben sehr viele positive Rückmeldungen“, freuen sich Dorothea Wolff und Hans Aderhold über ihre ganz persönlichen Glücksmomente. Etwa dann, wenn eine Frau dankbar sagt: „Wenn ich nicht hierher gekommen wäre, wären mein Mann und ich heute nicht mehr zusammen.“

Alle freuen sich schon auf die kleine Jubiläumsfeier, zu der sich auch ehemalige Gruppenmitglieder angesagt haben. Vor allem aber auch auf das nächste Montagstreffen am selben Ort, zur selben Zeit: am 30. November im Gruppenraum der Fachstelle für Sucht, Von-Philipsborn-Straße 1, um 19.30 Uhr. Wer die Gruppe kennenlernen möchte: Anmeldungen sind möglich unter Tel. 05021/97350 oder 05021/ 973514.

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