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„Pauken“ nach dem Dienst

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Oberfeldwebel Niklas Jennewein (vorne l.) arbeitet an seinem Abi. Ihn unterstützen Dr. Jens Große sowie (hinten, v. l.) Oberstleutnant Markus Messelhäußer, stellvertretender Bürgermeister Wilhelm Schlemermeyer und Fregattenkapitän Thorsten Krone.
Oberfeldwebel Niklas Jennewein (vorne l.) arbeitet an seinem Abi. Ihn unterstützen Dr. Jens Große sowie (hinten, v. l.) Oberstleutnant Markus Messelhäußer, stellvertretender Bürgermeister Wilhelm Schlemermeyer und Fregattenkapitän Thorsten Krone. © Nikias Schmidetzki

Langendamm - Von Nikias Schmidetzki. Profitieren sollen am Ende alle, der künftige Abiturient, der aktuelle Arbeitgeber und möglicherweise auch ein späterer. Soldaten aus der Langendammer Kaserne wollen bald ihr Abitur bekommen und nutzen dafür größtenteils das Internet.

Nach der Arbeit noch die Schulbank drücken. Für viele, die gerade ihre Abschlüsse in Empfang genommen haben, kommt das überhaupt nicht in Frage. Einige Jahre später vielleicht doch wieder. Was einst als klassisches Abendgymnasium bekannt war, läuft heute gut über das Internet. Und da mischt seit einiger Zeit auch die Bundeswehr mit – auch mit Soldaten aus dem Standort in Langendamm. Profitieren sollen am Ende alle, der künftige Abiturient, der aktuelle Arbeitgeber und möglicherweise auch ein späterer.

Niklas Jennewein möchte in drei Jahren sein Abi in der Tasche haben. Weil der 24-jährige Oberfeldwebel seinen Realschulabschluss allerdings schon vor sieben Jahren bekommen hatte, wollte er ins Lernen erstmal wieder „reinkommen“. Dafür hat er ein Semester – ein halbes Jahr also – einen Vorkurs absolviert. Nach den Sommerferien wird es für ihn nun wieder Ernst.

Die meiste Zeit wird er zuhause am Computer arbeiten. An zwei Abenden in der Woche besucht er gemeinsam mit anderen Soldaten – zwei fahren mit ihm aus Nienburg – das Mindener „Weser-Kolleg“. Fahrtzeit pro Strecke: fast eine Stunde. Los geht es direkt nach Dienstschluss um 16.30 Uhr. Von 17.50 Uhr bis etwa 22 Uhr pauken die Studenten, wie sie beim Kolleg heißen, bevor es wieder nach Hause geht. Am Donnerstag ist gegen 19.30 Uhr Schluss. Hausaufgaben gibt es zusätzlich. Es ist also nicht wenig, was es zu büffeln gibt, dafür soll am Ende auch die allgemeine Hochschulreife stehen, das Abitur also – ohne Einschränkungen. Wem das Fach-Abi reicht, der kann bereits nach zwei Jahren, aufgesplittet in vier Semester, sein Abschlusszeugnis in Empfang nehmen.

Jennewein wird Unterricht in allen relevanten Fächern bekommen. Deutsch, Englisch, Mathematik, Biologie, Geschichte, zweite Fremdsprache. Er hat sich für Latein entschieden, wie übrigens die meisten seiner Kameraden. Damit fangen sie bei Null an, können sie aber nach drei Semestern auch wieder abwählen. Alles wie beim herkömmlichen Abitur also. Nur die Fächervielfalt ist nicht gegeben. Sport gibt es nicht, Musik oder Religion auch nicht. Der Einführungsphase über zwei Semester folgen die Kursphase mit Leistungs- und Grundkursen und schließlich die zentrale Abiturprüfung – auch wie in der Schule.

Das „Weser-Kolleg“ hat schon lange Abiturlehrgänge angeboten. Quasi parallel wirkten in der selben Stadt die Pioniere aus der Herzog-von-Braunschweig-Kaserne bis sich eine Zusammenarbeit anbahnte. Schließlich entwickelte sich eine „maßgeschneiderte Kooperation für Soldaten“, erklärt Professor Dr. Jens Große. Er ist eigentlich Leiter der Fachhochschule des Mittelstands in Hannover. Er ist aber auch Major der Reserve und mit Alltag, Sorgen und Nöten von Soldaten daher vertraut. Er sieht sich als Mittelsmann, besucht das „Weser-Kolleg“ regelmäßig und bespricht sich mit den Soldaten.

Vor allen Dingen für den Soldaten-Beruf spezifische Herausforderungen gilt es häufig mit der Schulleitung und den Vorgesetzen in der Kaserne abzuklären. „Was passiert etwa, wenn der Soldat auf ein mehrwöchige Übung muss, oder in den Einsatz?“, nennt Dr. Große Beispiele. Da komme es auf Einzelfall-Regelungen an. Oberstleutnant Markus Messelhäußer, Kommandeur des Bataillons Elektronische Kampfführung 912 (Eloka), sagt größtmögliche Unterstützung zu. Die Präsenztermine müssten dringend in der dienstlichen Terminplanung Berücksichtigung finden, sagt er. Selbst bei der Einsatzplanung solle es einen entsprechenden Blick auf das „Online-Abitur“ geben. Und wenn es geht, könnte der Soldat schließlich auch mit vorhandenem Internetanschluss am Abend andernorts lernen. Den Rest muss allerdings die Schule klären – und die muss sich wiederum ans Schulgesetz in Nordrhein-Westfalen halten.

Er selbst ist derzeit hochmotiviert, möchte in drei Jahren sein Abiturzeugnis in den Händen halten. Rückendeckung bekommt er nicht nur von seinem Chef Messelhäußer, sondern auch von dessen Stellvertreter Fregattenkapitän Thorsten Krone. Er ist Jenneweins Mentor. „Die Soldaten stehen in Lohn und Brot“, sagt er. Sie müssen also nicht neben dem Abi jobben. Viele Kosten kommen auf die Schüler ohnehin nicht zu. Der Lehrgang für sich ist kostenlos. Nur für die Bücher fällt eine Kaution an. „Das ist auch für Unternehmen interessant“, sagt Krone.

Und das ist es im doppelten Sinne. Nicht nur, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter beim nachträglichen Erwerb der Hochschulreife unterstützen können. Sie können auch ganz konkret ehemalige Soldaten nach deren Ausscheiden aus der Bundeswehr einstellen, die dann vielleicht sogar noch ein berufsbegleitendes Studium anhängen. Darüber wird sich Jennewein zunächst noch keine Gedanken machen müssen. Oberstleutnant Messelhäußer hätte gerne solche engagierte Soldaten in seinen Reihen. Ihnen stünde der Weg in die Offizierslaufbahn offen, wirbt er. Und wenn sie als Reserveoffiziere nur für Monate zwischendurch ihren Dienst versehen.

Nicht immer klappt es zur Zufriedenheit aller. Fünf waren es zunächst, die sich aus der Clausewitz-Kaserne um das Abitur bemüht hatten, zwei haben mittlerweile abgebrochen. Allerdings nicht, weil sie keine Lust mehr gehabt hätten, betont Jennewein. Es habe eben schlichtweg nicht gepasst mit den weiteren Umständen, die der Job mit sich bringt.

Der Zeitaufwand, den ein Berufstätiger auf sich nehmen muss, um sein Abitur nachzuholen ist immens. „Wir haben hier eine 41-Stunden-Woche. Das ist nicht wenig“, sagt Oberst Messelhäußer. Etwas Gutes habe aber auch das, fügt Wilhelm Schlemermeyer, Ortsbürgermeister von Langendamm und Stellvertreter des Nienburger Verwaltungschefs Henning Onkes, an. „Das ist ein gutes Training für spätere ehrenamtliche Tätigkeit.“

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