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Anwohner haben Angst: Systemsprenger machen Magelsen unsicher

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Trügerische Ruhe: Glaubt man den Schilderungen der Anwohner, geht es rund um das „New Way Hotel“ in Magelsen immer wieder hoch her. Mehrfach musste die Polizei kommen.
Trügerische Ruhe: Glaubt man den Schilderungen der Anwohner, geht es rund um das „New Way Hotel“ in Magelsen immer wieder hoch her. Mehrfach musste die Polizei kommen. © Felix Gutschmidt

In Magelsen kommt es rund um das „New Way Hotel“ immer wieder zu Ärger. Anwohner haben Angst. Die Polizei ist oft im Einsatz – offenbar wegen Systemsprengern.

Magelsen – Viel zu sehen gibt es nicht vor dem Haus Magelsen 26. Zwischen den Pflastersteinen sprießt Unkraut. Ein Mann hält mit seinem Fahrrad vor der Eingangstür. Er will Zigaretten aus dem Automaten ziehen, der rechts neben dem Windfang an der Wand hängt. Durch das Fenster nebenan sind ein paar Tische zu sehen. Eine Frau wischt mit einem Tuch die Krümel vom Frühstück weg.

Immerhin, ein Lebenszeichen. Ansonsten deutet an diesem Vormittag nicht viel darauf hin, dass hinter der schlichten Backsteinfassade überhaupt etwas los ist.

Doch die Ruhe trügt. Glaubt man den Schilderungen der Anwohner, geht es rund um das Haus immer wieder hoch her. In dem Gebäude sollen mitunter verhaltensauffällige Jugendliche untergebracht sein, sogenannte Systemsprenger, die deutschlandweit von einer pädagogischen oder psychiatrischen Einrichtung zur nächsten gereicht werden, weil es scheinbar niemandem gelingt, ihrer Herr zu werden.

Systemsprenger-Begriff ist in der Jugendhilfe umstritten

Der Begriff hat etwas Bedrohliches und ist in der Jugendhilfe umstritten. Im Kern geht es um die Frage, ob die Jugendlichen ein System sprengen, oder ob das System den Bedürfnissen dieser Klientel nicht gerecht wird. Letztlich ist es eine Variante des Henne-Ei-Problems.

Für solche Diskurse interessieren sich die Anwohner in Magelsen derzeit herzlich wenig. Sie wollen einfach wieder normal leben können. Sie wollen den Gehweg entlang gehen, ohne Sorge zu haben, angepöbelt oder sogar körperlich angegangen zu werden. Sie wollen nicht abends vom Schein des Blaulichts geweckt werden, weil mal wieder Polizei oder Krankenwagen im Einsatz sind. Sie wollen keine Scherben auf der Hauptstraße. Sie wollen keine Angst mehr haben.

Betreuerin schildert gewaltsame Konflikte mit einem Jugendlichen

Nach Aussagen von ehemaligen Beschäftigten im „New Way Hotel“ ist die Situation in der Einrichtung selbst zum Teil sogar noch wesentlich schlimmer. Gegenüber dem NDR schildert eine Betreuerin gewaltsame Konflikte mit einem Jugendlichen. An Wochenenden, Feiertagen, nachts und in den frühen Morgenstunden sei meist nur ein Mitarbeiter anwesend und für bis zu sieben Jugendliche zuständig gewesen. So ein Personalschlüssel wäre in einer Jugendhilfeeinrichtung für Systemsprenger nicht erlaubt. Doch das „New Way Hotel“ ist keine solche Einrichtung.

Das Jugendamt des Landkreises erklärt auf Anfrage, dass das „New Way Hotel“ nie einen Antrag auf Betriebserlaubnis einer Jugendhilfeeinrichtung bei der Heimaufsicht – dem Landesamt für Soziales, Jugend und Familie – gestellt habe. Es handele sich um eine Pension mit Frühstück.

Alexander Mayer, Eigentümer der ehemaligen Gaststätte an der Hauptstraße in Magelsen, erklärt gegenüber dem NDR, er sei nur Hotelbetreiber. Für die pädagogische Betreuung im „New Way Hotel“ sei das Unternehmen „Haltestelle 35“ zuständig. Zwar hat Mayer diese Firma laut NDR selbst gegründet. Mittlerweile habe er mit ihr aber nichts mehr zu tun.

Unternehmer nicht erreichbar – Homepages seit Kurzem offline

Weitere Angaben sind von Mayer nicht zu bekommen. Der Unternehmer ist telefonisch nicht zu erreichen. Die Homepage seiner Firma „New Way Verwaltung sozialer Dienste“ mit Sitz in Asendorf ist seit Freitag offline – genau wie der Internetauftritt von „Haltestelle 35“.

Ob das „New Way Hotel“ tatsächlich keine Einrichtung der Jugendhilfe ist, prüft nun die Staatsanwaltschaft in Verden. Sie ermittelt außerdem wegen des Verdachts des Betrugs. Die Verantwortlichen sollen Leistungen gegenüber mehreren Jugendämtern aus mehreren Bundesländern abgerechnet haben, die sie gar nicht erbracht haben. Konkret geht es um den Betreuungsschlüssel für Systemsprenger, der laut Sozialgesetzbuch bei eins zu eins liegen muss.

Es scheint ein einträgliches Geschäft zu sein. Ehemalige Mitarbeiter berichten, dass die zuständigen Jugendämter um die 300 Euro pro Tag zahlen, wenn sie einen schwierigen Jugendlichen in Magelsen unterbringen.

Staatsanwaltschaft gibt keine aktuellen Angaben preis

Zum aktuellen Stand der Ermittlungen macht ein Sprecher der Staatsanwaltschaft keine Angaben. Er bestätigt, dass die Ermittlungen auf Betreiben des Landesjugendamts aufgenommen worden sind. Dort hatte sich eine frühere Mitarbeiterin des Hotels gemeldet. Aufgrund dieser Hinweise stellte die Behörde in Hannover Strafanzeige bei der Polizei.

Eine Konsequenz haben die Ermittlungen und die Fernsehberichte des NDR offenbar bereits gehabt: Zwei Jugendliche aus dem nordrhein-westfälischen Witten sind vom zuständigen Jugendamt wieder aus dem „New Way Hotel“ ausquartiert worden. „Ich hoffe, dass jetzt endlich Ruhe einkehrt“, sagt Hilgermissens Bürgermeister Johann Hustedt.

Dass das „New Way Hotel“ Magelsen einmal solche Probleme bereiten würde, hätte er nicht gedacht. „Die Gemeinde freut sich, dass in das Gebäude wieder Leben einkehrt“, erklärte Hustedt kurz vor der Eröffnung im Juni vergangenen Jahres. Investor Mayer beschrieb das Konzept damals so: Vor allem an junge Leute sollte sich das Angebot richten. Er sprach von Jugendlichen in schwierigen Situationen, aber auch von Familiengruppen oder Fahrradtouristen. Alle schienen sich einig zu sein: Das ist neu, das ist spannend, das ist vielversprechend.

Mehr als ein Dutzend Polizei-Einsätze innerhalb knapp eines Jahres

Drei Monate später, im September, sei es zu den ersten Zwischenfällen gekommen, erinnert sich Hustedt. Die Angaben, wie häufig die Polizei vor Ort war, sind widersprüchlich. Mehr als ein Dutzend Fälle innerhalb knapp eines Jahres bestätigt eine Sprecherin der Inspektion Nienburg offiziell.

Hustedt sagt, immer wieder hätten sich Bürger bei ihm gemeldet und gefragt: „Mensch, kannst Du da nicht was machen?“ Als der NDR sich wegen eines Interviews meldete, sei er erst skeptisch gewesen. Doch dann sei er zu der Überzeugung gelangt: „Wir müssen in die Offensive gehen.“

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