Das Bild muss einprägsam gewesen sein, denn der heute 78-jährige Heinrich Meier hat immer noch das Getrappel der Pferde im Ohr, das er als Kind so oft gehört hat. Das Klappern auf der Straße, sagt er, habe er immer als schaurig empfunden. Das habe angezeigt: „Da kommt einer weg.“
Was heute von den Leichenwagen der Bestattungsunternehmen
übernommen worden ist, war seinerzeit zumindest in Rehburg Stadt-Angelegenheit. Damals, wird in der Runde erzählt, starben die meisten doch noch zu Hause. Luise Engelmann erinnert sich an viele Tote aus jener Zeit, die in ihren Häusern zunächst aufgebahrt wurden. In der landwirtschaftlich geprägten Stadt war oft eine Diele vorhanden, wo der Sarg aufgestellt werden konnte. Zwei oder drei Tage lang, weiß Luise Engelmann, stand der offene Sarg dort. So konnten alle Abschied nehmen. Erst wenn der Pastor zur Trauerfeier kam, wurde der Deckel aufgelegt. Ja, sagt sie, auch die Trauerfeiern hätten in den Häusern stattgefunden. Eine Leichenhalle samt Kapelle habe es doch noch nicht gegeben. Gegen Ende der Predigt habe es dann immer auf dem Hof geklappert, wenn die Kusche vorfuhr. Dann kamen die Sargträger zum Einsatz. Ihre Aufgabe war es, den Sarg auf die Kutsche zu setzen. Ein Kopfteil auf Schienen ist noch heute vorhanden. So wurden die Toten auf den Wagen geschoben, die hinteren Türen geschlossen und der Leichenzug setzte sich in Bewegung.
In Rehburg war es eine prächtige Kutsche, die diesen letzten Weg mit den Toten machte. Schwarz angestrichen, mit schweren samtenen Vorhängen, etlichen goldenen Verzierungen und Schnitzereien fand das
Geleit statt – an den Seiten gekrönt von jeweils zwei Engeln die Anker, Herz und Kreuz halten als Symbol für „Glaube, Liebe, Hoffnung“. Wohin die Kutsche gehört, stand klein an der Seite geschrieben: „Rehburg“ ist dort heute noch zu entziffern. Eine Jahreszahl, die auf das Herstellungsdatum schließen lässt, ist zum Leidwesen der Rehburger nirgendwo vorhanden. Verwaltungsmitarbeiterin Martina Nitsche, die für die Stadt die Auktion vorbereitet hat, vermutet aber, dass sie um 1890 gebaut wurde. Baugleiche Kutschen hätten dieses Alter, sagt sie. Der älteste schriftliche Hinweis zu der Kutsche ist einem Ratsprotokoll aus dem Jahr 1939 zu entnehmen, in dem Kutscher Ernst Meyer aufgetragen wird, den Leichenwagen in eigenem Schuppen unterzustellen. Den letzten Hinweis wird es nun aus dem Jahr 2017 geben – wenn die Kutsche nach der Versteigerung abgeholt wird. Nachdem sie rund 50 Jahre unbenutzt in einer Scheune stand, hatte die Verwaltung gemeint, dass es an der Zeit sei, sich von ihr zu trennen. Doch zurück zum Geleitzug.
Er war für viele Rehburger neben dem traditionellen Schützenfest eine zweite Gelegenheit, Zylinder und schwarzen Anzug hervorzuholen – immer dann, wenn ein Nachbar starb. Nachbarn sollten es nämlich möglichst sein, die den Sarg trugen. Aus dem Haus heraus auf die Kutsche und später auf dem Friedhof, um ihn das letzte Stück bis zum Grab zu bringen. Während der Fahrt gingen die Sargträger – drei rechts, drei links – neben der Kutsche.
Direkt dahinter hatte der Pastor den Vortritt vor der Trauergemeinde, gemeinsam mit den engsten Angehörigen. Alle anderen reihten sich dann erst ein. Dort habe die Pietät manchmal schon ein Ende gehabt, sagt Friedrich Kloth. Oftmals sei auf dem Weg zum Friedhof ordentlich getratscht worden.
Das ist anscheinend toleriert worden. Wogegen sich die Verwaltung allerdings verwehrte, war schludriges Aussehen des Kutschers. Eine dünne Akte ist im Rathaus noch heute zu der Kutsche vorhanden und darin ist auch ein Schreiben des Stadtdirektors aus dem Jahr 1950 an den Kutscher enthalten.
Wiederholt sei von Einwohnern beanstandet worden, dass der Fahrer des Totenwagens in einem „gewöhnlichen Schlapphut beziehungsweise Mütze“ erschienen sei. Die feierliche Handlung erfordere allerdings einen Zylinderhut. Sollte der Kutscher dieses künftig nicht beachten, werde die Angelegenheit dem Rat vorgetragen.
Den Zylinder als Kopfbedeckung können alle Gesprächspartner im Heimatmuseum bestätigen. Friedrich Kloth fügt noch hinzu, dass auch die Schuhe geputzt sein mussten. Und die Pferde – mal zwei, mal eines – hatten lange schwarze Decken zu tragen.
Das Wissen um die alte Kutsche, mit der Rehburger Bürger einst den letzten Weg antraten, will Fritz Mackeben im Archiv des Bürger- und Heimatvereins hinterlegen. Nachfolgende Generationen mag es vielleicht interessieren. Die Kutsche selbst wird dann zwar die Stadt verlassen haben. Womöglich gibt es aber Chancen, sie irgendwann noch einmal ansehen zu können.
Der Käufer, sagt Martina Nitsche, sei ein Kutschensammler aus dem Hamburger Raum. Er wolle den Bestattungswagen fachgerecht restaurieren lassen und in seine Sammlung auf Schloß Wotersen einfügen, wo sie gelegentlich Besuchern gezeigt werde.
Als das Stichwort „Das Erbe der Guldenburgs“ fällt, haben alle im Heimatmuseum eine Vorstellung davon, um welches Schloss es sich handelt. Diese Fernsehserie aus den 1980er Jahren war damals die erfolgreiche deutsche Antwort auf „Dallas“ – mit jenem Schloss als Kulisse. Heutzutage werden dort viele Konzerte, nicht zuletzt vom Schleswig-Holstein Musik-Festival gegeben.
Eine angemessene Kulisse also für die vermutlich letzte Ruhestätte der alten Bestattungskutsche. Auch Nitsche freut sich darüber, dass das gute Stück dort landet und nicht etwa bei demjenigen, der unter dem Pseudonym „Graf Dracula“ in der Auktion mitgeboten hatte.